Rhani Krija: Wenn das Telefon klingelt…

Köln (kle)

Lieber Rhani. Danke, dass Du Dir heute Zeit für die Stadtrevue nimmst.

Intro

Eine kurze Reise zurück in das Jahr 2002: Dein Telefon klingelt. Du hebst ab. Sting ist am Apparat und sagt dir, dass du ab sofort in seiner Band spielen darfst.

Wie genau kann man sich diese Situation vorstellen?

Der Anruf erreichte mich genau an meinem Geburtstag, also am 21. Dezember 2002. Stings Co-Produzent Eldridge Kipper war am Apparat und fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, Perkussionist für Sting zu werden. Speziell für dessen damals erschienenes Album „Sacred Love“. Im Februar des darauffolgenden Jahres wurde ich schließlich für Single-Aufnahmen des Albums ins Studio eingeladen. Sting war total glücklich. Er fing an zu tanzen. In diesem Moment wusste ich, dass es ihm gefällt. Daraufhin fragte er mich, ob ich noch ein paar Tage bleiben könne, um die restlichen Songs des Albums miteinzuspielen. Einer davon – Whenever I Say Your Name – gewann später sogar einen Grammy. In diesen Momenten der Aufnahmen, wenn du so ganz bei deinem Instrument bist, ist es dir völlig egal, ob da nun ein Superstar danebensteht oder nicht. Ich wollte einfach einen guten Job machen.                                     

Am 08.09.2023 bebte die Erde in Marokko. Etwa 2.900 Menschen kamen dabei ums Leben.

Wie und wo hast du von dem Erdbeben erfahren?

Ich war zu diesem Zeitpunkt hier in Deutschland. Dass Marokko ein erdbebengefährdetes Land ist, muss man niemandem mehr erklären. Mein ältester Bruder wurde im Jahr 1960 geboren. Da gab es das schwere Erdbeben von Agadir. Und das letzte Erdbeben vor einigen Monaten, bei dem wieder einmal so viele Menschen ums Leben gekommen sind, habe ich noch nicht ganz verdaut. Vor allem viele Kinder haben ihr Leben gelassen. Es gibt eine Lehrerin, die ihre gesamte Schulklasse verloren hat. Das ist so traurig. Aber gegen die Naturmächte hat man keine Chance. Und die Wut darüber ist eine andere, als die, die man gegenüber Kriegen hat. Umso stolzer bin ich, weil Marokkaner aus allen Gebieten des Landes in die betroffene Region gereist sind, um den Opfern des Erdbebens zu helfen.

Warst du selbst auch vor Ort?

Nein, ich habe von hier aus Geldspenden gesammelt. Vor allem die Überlebenden benötigen unsere Unterstützung. Die Toten bringt man leider nicht mehr zurück. Grundsätzlich muss ich sagen, dass Marokko mit der katastrophalen Gesamtsituation ganz gut umgegangen ist. Das hat mich wirklich positiv überrascht.     

Rhani bekommt ein Foto seiner Heimatstadt Essaouira vor die Nase gehalten.

Auch ohne Brille weiß ich, dass das Essaouira ist. Die Bildhübsche. Das Wort „Essaouira“ heißt wörtlich übersetzt so. Dort wurde ich geboren. Wenn ich an diese Stadt denke, dann kommt mir sofort der unvergleichliche blaue Himmel und dieses Licht dort in den Sinn. Das hat nicht nur mich, sondern auch schon viele andere Künstler inspiriert. Nicht zu vergessen der permanente Wind, der immer hinter deinen Ohren pfeift. Einen Spielplatz oder Spielzeug hatten wir damals nicht. Das Meer und dessen Umgebung war unser Spielplatz. Und je älter du wirst, desto stärker wächst die Sehnsucht in dir erfahren zu wollen, was hinter dem Meer ist. Man fragt sich: „Was ist eigentlich dahinter?“ In mir war diese Frage immer extrem stark ausgeprägt.

Obwohl es ja eigentlich ganz schön ist dort am Meer…

Ja, das stimmt. Aber dieses Fernweh steckt bis heute in mir. Ich bin ein Nomade. Und ich bekenne mich  dazu: Ich schaffe es keine zwei Wochen zu Hause zu bleiben. Das mag ich auch nicht. Für mich bedeutet lebendig bleiben in Bewegung bleiben. Deshalb reise ich so gerne. Meiner Meinung nach lernst du dich erst richtig kennen, indem du dich bewegst, indem du reist. Dieses Credo versuche ich auch meinen Kindern beizubringen. Jeder Mensch sollte reisen.       

„Seit seiner Kindheit hatte er praktischen Umgang mit der in seiner Heimatregion verbreiteten Gnawa-Kultur und -Musik […]“, steht über dich bei Wikipedia.

Hat diese Kultur nicht auch etwas mit Tieropfern, Trance-Zuständen und der Austreibung böser Geister zu tun?

Ja, das stimmt. Aber deine germanischen Vorfahren haben auch nichts anderes gemacht. Man vergisst das nur oftmals. Es gibt ein Sprichwort im Arabischen, das lautet „Das Dasein des Menschen ist gefährdet durch sein Vergessen“. Die Gnawa-Kultur dagegen stellt sich gegen das Vergessen und bewahrt diese alten afrikanischen Musik-Traditionen. Und sie haben vor allem eine Funktion: den Menschen zu heilen. Für Marokkaner ist genau das der vornehmliche Zweck von Musik: Heilung, keine Unterhaltung. Seit der Pandemie ist Musik auch genau das für die meisten Menschen hier in Deutschland geworden. Wäre sie nur Unterhaltung, dann wäre das eine ziemliche Erniedrigung für die Musiker:innen und für die Musik selbst. Musik existiert, um zu heilen. Dabei ist es völlig egal, wer du bist, in welcher Position du dich befindest oder zu welcher sozialen Schicht zu gehörst. Und natürlich, ein Stilmittel der Musik ist, die Zuhörer:innen in Trance zu versetzen. Bist du ein guter Musiker, versetzt du die Menschen in eine Lage, in der sie nicht mehr an ihren Alltag und an ihre Probleme denken. Im besten Falle hören sie für den Moment auf zu denken. Die Gnawa-Musik arbeitet dahingehend mit ganz einfachen repetitiven Melodien und Rhythmen. Annie Lennox, aber auch Sting habe ich diese Gnawa-Musik mal auf die Ohren gesetzt. Beide waren hin und weg von ihr. Sie schätzen einfach den Trance-Faktor von Musik sehr. 

Der kleine Rhani schnappt sich eine tbal (mit Stöckchen geschlagene Fasstrommel) und trommelt einfach drauf los? Wie können wir uns das vorstellen?

Nein. Als Kind in Marokko hörst du erst einmal nur zu. Dass ich begabt war, wusste ich. Aber ich habe meine Begabung zunächst erfolgreich ignoriert.

Inwiefern?

Mit dieser Anziehungskraft der Instrumente kommst du als kleines Kind am Anfang gar nicht zurecht. Die energetische Wucht deiner eigenen Begabung zieht dich magisch an. Nur kannst du das alles erst einmal überhaupt nicht einordnen. Wie gehst du damit um als Kind? Du willst nur spielen. Aber du weißt nicht wie, wann, mit welchem Instrument. Und für meine Eltern ging es in erster Linie ums Überleben. Um Bildung. Die Gesellschaft in Marokko folgt nicht – wie hier bei uns – der Regel „Mein Schätzchen, komm, du spielst jetzt ein Instrumentchen, ich melde dich beim Musik-Unterricht an“. Für mich als Jugendlicher waren solche Möglichkeiten weit weg jeglicher Realität. Ich musste mir alles erkämpfen. Erst während der Schulzeit hatte ich meine ersten zaghaften Begegnungen mit den unterschiedlichen Instrumenten. Heutzutage erwarten die Menschen von ihren Kindern immer sofort eine Art Performance, wenn sie in ihren jungen Jahren ein Instrument erlernen. Das ist brutal. Da gibt es oft kein behutsames Herantasten. Das ist pädagogisch eine Katastrophe. Kinder verlieren dadurch viel zu schnell ihre erste Liebe für ein Instrument. Ich persönlich hatte an der höheren Schule das große Glück, einem Lehrer zu begegnen, der mein Talent erkannte. Dieser Lehrer war anders als die anderen. Bei ihm durften wir uns direkt an musikalischen Aktivitäten beteiligen. Er selbst spielte auch ein Instrument. Deshalb verstand er, was für uns Leidenschaft für die Musik bedeutete. Noch heute habe ich Kontakt zu ihm.

22 Jahre Marokko, und dann ab nach Deutschland?

Auch hier hatte ich einfach Glück auf einen Lehrer des Goethe-Instituts zu treffen, der mir seine Leidenschaft für die deutsche Sprache, Literatur und Musik nahegebrachte. Wir haben tatsächlich auch eine Menge deutsche Musik zusammengehört. So habe ich auf fast spielerische Weise Deutsch gelernt, bevor ich schließlich den Schritt wagte, nach Deutschland auszuwandern. Hinzu kam: Ich war Bach-Fanatiker, ohne, dass ich es wirklich wusste. Auf meinen Kassetten standen nämlich nie Namen. Irgendwann fand ich heraus, von wem all diese Stücke, von denen ich so fasziniert gewesen war, komponiert worden waren. Johann Sebastian Bach und der Trance-Effekt: Das sind für mich zwei nicht voneinander zu trennende Begriffe. Meiner Meinung nach schrieb Bach seine Musik nicht primär für den Menschen, sondern für eine höhere Kraft. Das faszinierte mich von Anfang an ungemein an seiner Musik. Bis heute.

Also erst die deutsche Hochkultur, dann der Kölner Karneval?

Als Student der E-Technik in Aachen habe ich für ein paar D-Mark gekellnert. Da war ich also seit kurzem hier, angetan von den Kompositionen der Dichter und Denker, und dann kommt einmal im Jahr die Dekadenz. Das musste ich erst einmal verdauen. Natürlich habe ich versucht zu erfahren, woher die Karnevalstradition kommt, aber zunächst war für mich das Gefühl präsent: Karneval ist eine Zeit, in der viele Menschen gleichzeitig besoffen sind. Zumindest war das meine erste Erfahrung mit dem Rheinischen Karneval. Erst später habe ich verstanden, dass Karneval für viele Menschen auch eng mit Ritualen, Spirituellem und Religiösem verknüpft ist. Der soziale Aspekt steht für mich beim Karneval definitiv im Vordergrund

Ab welchem Punkt wusstest du: Das ist es. Ich komme nicht drum herum. Ich möchte Musiker werden?

Dieser Moment kam sehr viel später. Zunächst habe ich die Schule beendet. Nur so bekam ich von meinen Eltern gewisse Freiheiten. Denn: Das Musiker-Dasein in Marokko damals – ohne Schulabschluss - war verpönt. Natürlich, das muss ich zugeben, habe ich auch davon profitiert, dass es früher bei uns kein Jugendschutzgesetz gab. Nur so konnte ich in den Nacht-Clubs und Bars spielen. Die bewusste Entscheidung für diesen Beruf traf ich nach einem Unfall. Erst im Krankenhaus begann sich mein Lebens-Puzzle für mich zusammenzusetzen, wurde das Puzzle-Bild sichtbar und klar. Meine Vernunft verwandelte sich in Liebe, mein Kopf zu einem Herz.

Das bedeutet, du hast aus einer Krise heraus entschieden, professioneller Musiker zu werden?

Genau. Vorher konnte ich diese Entscheidung nicht treffen. Da waren einfach viel zu viele Ängste im Spiel. Meine Vorstellungen vom Leben sahen davor ganz anders aus. Und das Schlimmste daran war, dass ich an sie glaubte.  Bis ich verstand: „Ich bin doch mein eigener Lebensfilm- Regisseur. Da vorne, am nächsten Fenster, stehen all die Möglichkeiten, die ich habe, für mich bereit.“ Aber du traust dich gar nicht, es zu öffnen. Bis schließlich jemand oder etwas – nenne es Universum, nenne es Gott – dir aus vollster Liebe heraus einen schönen Unfall beschert und zu dir sagt: „Im Bett hast du nun genug Zeit, um über deine Zukunft nachzudenken.“ Tatsächlich hatte ich dann im Krankenhaus-Bett meine eigene Eingebung und ich hörte eines Nachts diese Stimme, die zu mir sprach: „Du bist geboren, um Musik zu machen. Mach Musik.“ Am nächsten Morgen bin ich aufgestanden. Als Musiker.

Wie schaffst du es, bei deinem Erfolg nicht abzuheben?

Stimmt. Ich könnte abheben. Denn: Ich habe alle fünf Kontinente mindestens viermal besucht. Ich war jahrelang mit Sting auf Tour, habe mit Prince, Peter Gabriel oder Annie Lennox gespielt, stand auf der Bühne mit der großartigen Lady Gaga und mit Stevie Wonder, ich habe für Herbie Hancock, Herbert Grönemeyer oder die Black Eyed Peas aufgenommen, spiele zurzeit für Sarah Connor, Wolfgang Niedecken, Xavier Naidoo. Das sind allesamt unglaubliche Musiker:innen.

Aber: Ich bin einfach nur dankbar. Für alles. Dankbarkeit ist für mich der Schlüssel zum Erfolg. Wenn ich manchmal nach einem Konzert in einem fetten 5-Sterne-Hotel sitze, ist das für mich alles andere als selbstverständlich. Ich achte darauf, dass ich mich erde und dass meine beiden Füße fest auf dem Boden stehen. Und darauf, dass ich mich glücklich fühle. Dann stelle ich mir die Frage „Bin ich glücklich?“ Nur diese Frage und ihre Antwort ist der einzig wahrhaftige Moment im Moment. Diese Art von innerer Demut hindert mich am Ende daran abzuheben.      

Outro

Du giltst inzwischen als „Musiker der Weltklasse“ und „Weltklasse-Percussionist“ (Allmusic).

Eine kurze Reise ins Jahr 2024: Dein Telefon klingelt. Du hebst ab. Wer wird am Apparat sein? Was hoffst du?

Das interessiert mich nicht. Das ist eine reine Illusion. Ich gebe mir unheimlich viel Mühe, nicht an morgen zu denken, sondern im Hier und Jetzt mit euch zu sein.

Vielen Dank für deine Zeit, Rhani.


Erschienen in der Stadtrevue

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