Sina Doering: „Wenn es nicht klappt, komme ich eben wieder zurück“

Köln (kle) Oh je. Auf dem Weg zum berühmt-berüchtigten Kiosk „Oma liebt dich“, in dem es den wohl besten Käsekuchen der Rheinmetropole gibt, dringt Angie von den Stones aus den Fensterritzen eines vorbeifahrenden Volvos. When will those dark clouds all disappear?, singt Jagger so, als gäbe es darauf eigentlich nur eine Antwort: niemals. Eigentlich keine besonders aufmunternde Nummer für so ein Treffen mit einer der angesagtesten Schlagzeugerinnen der Republik. Davon abgesehen kann man nicht besonders viel im Vorfeld über Sina Doering in Erfahrung bringen. `99er-Jahrgang, irgendwann in jungen Jahren erhielt sie ihr erstes Drumset, auf dem sie von Anfang an rhythmisch ausgeklügelte Beats rauf- und runterspielte, mit 14 Jahren dann rief sie ihren ersten Youtube-Kanal ins Leben. Und der, ja, der ging – das muss man so nüchtern konstatieren – durch die Decke. Abonnenten aus der ganzen Welt konnten ab diesem Moment an miterleben, wie die pubertierende Sina einen bekannten klassischen Rock-Song nach dem anderen in ihrem Heimstudio coverte. Bis heute sind es weit über 1 Millionen Fans, die ihr bei ihrem kreativen Schaffensprozess über die Schulter schauen können. Das bemerkte auch Youtube selbst, weswegen Sina 2020 für ihren Erfolg den sogenannten goldenen „Creator-Award“ erhielt. Wie auch immer man sich das vorzustellen hat. Aber: „Ohne Facebook und Instagram geht gar nichts“, erzählt die mittlerweile 24-Jährige trocken, während sie ihren Cappuccino fest in ihren beiden Händen hält. Mittlerweile jedenfalls ist die gebürtige Marburgerin eine der geliktesten und meist gesehenen Schlagzeugerinnen im Netz. Dass natürlich irgendwann auch Musiklegenden wie Ian Paice von Deep Purple, der US-amerikanische Songwriter Jim Peterik oder der britische Komponist Donovan Phillips Leitch auf den deutschen Internet-Star aufmerksam werden würden, war am Ende nur eine Frage der Zeit, könnte man meinen. Letztgenannter beispielsweise fragte Sina 2019 geradewegs heraus, ob sie denn nicht Bock hätte, zusammen mit Joolz Jones – dem Enkel des Rolling Stones-Entdecker Brian Jones – ein Album aufzunehmen. Da sind sie wieder, diese Stones. Wenn man die toughe Mittzwanzigerin in ihrer schwarzen Lederjacke und ihren Sportschuhen da am Mäuerchen des Kiosk so stehen sieht, hämmert sich folgender Gedanke wie ein Paukenschlag in den Kopf: Sina lebt mit noch nicht einmal 25 das, wovon andere Musiker:innen ein gesamtes Leben lang träumen. Sich gegen diese Stimme zu wehren, wäre ziemlich aussichtslos.

Nur ein Traum also, weiter nichts? – Sina würde das so nicht unterschreiben. Zumindest nicht in Gänze. Aber von vorne. Der Volvo mit den Stones ist noch nicht ganz um die Ecke rum, da kommt auch schon Sina lässig die Kyffhäuser Straße entlang spaziert. Zuerst aufmerksam wird Fotografin Susanne auf sie. „Mensch Sina, deine Haare! Der absolute Wahnsinn!“, ruft Susanne ihr zu, sodass sogar die Jungs vorm Friseursalon „Gentlemen Barber Clubs“ ein wenig verdutzt herüberschauen. Susanne, das sollte man wissen, ist nicht unbedingt die Art von Mensch, die unglaublich lange Zeit benötigt, um ein vertrauensvolles Verhältnis zu einer fremden Person aufzubauen. Ein gelungener Einstieg. Das Eis ist an-gebrochen. Allemal.

Und dann spricht Sina. Über ihr Studium zum Beispiel, das sie vor ein paar Jahren am Arnheimer ArtEZ-Conservatorium im Bereich für Jazz- und Popmusik begonnen hat und das sie 2024 mit dem Bachelor-Abschluss zu einem temporären Zwischenziel  führen wird. Höchstwahrscheinlich. Ja. Höchstwahrscheinlich, dieses Wörtchen könnte man getrost aus diesem Text streichen, weil Sinas Wortschatz, Sinas Denken nicht in Wahrscheinlichkeiten funktioniert. Für die Schlagzeugerin gibt es nur ein Tun oder Nicht-Tun. Ein Ich-Schaffe-Das oder Ich-Lasse-Das. Die Option des Scheiterns jedenfalls existiert nicht für die Frau, die mit gerade mal 17 Jahren ihr Abitur ablegte und drei Jahre zuvor zu einer Person öffentlichen Interesses wurde. Dank Youtube, Facebook, Instagram und Co., versteht sich. „Man muss schon hart an der Sache und an sich arbeiten“, fällt Sina ganz spontan ein, als das Thema des Scheiterns für ein paar Minuten wie ein mit Lachgas aufgeblasener Luftballon über uns schwebt. Der jedoch findet eine Lücke zwischen den Verästelungen der Kastanien und zieht schließlich von dannen. Etwas herauskitzeln aus Sina: ein schwieriges Unterfangen. Ein „manchmal gehe ich auch auf eine Studi-Party, wenn ich eingeladen werde“ reicht da definitiv nicht. Nur Susanne lächelt müde. Etwas.

Eben die tänzelt auf unserem Spaziergang um Youtube-Star Doering herum, um das passend freche Motiv zu finden, weil Schlagzeugerinnen nun mal frech „und muskulös!“ seien. - Ist das so? – Sina lächelt. Ihr Anstand verhindert Schlimmeres. Klischees sind ein bisschen wie Ohrwürmer. Sie halten sich hartnäckig und kommen immer dann, wenn man nicht mit ihnen rechnet. Natürlich müsse man als Schlagzeuger:in nicht muskulös sein. Im Gegenteil, diese Art von Physis könne sogar eher hinderlich für bestimmte Spieltechniken sein, erklärt das Ausnahmetalent und ergänzt: „Es kommt vor allem auf die richtige Technik an.“ Ob Susanne das noch mitbekommen hat, bleibt unklar, da sie just in diesem Moment eine geile Foto-Location für Sina gefunden hat: die Toreinfahrt der Hamburger Manufaktur „Freddy Schilling“. „Ja, genau so…, noch einmal, hoch die Haare…, jetzt mal cooler schauen…“ und so weiter schallt es für ein paar Minuten aus dem  dunklen Schilling-Foyer, in dem normalerweise hungrige Kölner:innen voller Elan in ihren Burger beißen. Sina ist tapfer, meistert die Challenge bravourös. Fast wirkt es so, als wachse sie in diesen zehn Minuten ein wenig über sich hinaus. „Solche Foto-Shootings mag ich eigentlich nicht so sehr, aber Susanne macht das wirklich gut“, verrät sie auf Höhe der Uni-Mensa. Susanne ist da schon nicht mehr bei uns. Dafür aber das Nachdenken über den eigenen Charakter. Denn: Dieses Thema kommt irgendwie automatisch bei Schlagzeuger:innen zur Sprache, wenn man über die Charakteristik des Instruments, das man spielt und liebt, philosophiert. „Ich mag es im Sinne des kreativen Prozesses unauffällig im Hintergrund zu agieren und gleichzeitig mein Ding zu machen.“ Sina sagt das. Dabei hätte es auch die Stimme aus dem Off sein können. Das Eis ist gebrochen. Ganz.

Ganz und gar sogar, weil sie nun über Unlust-Momente, die auch sie manchmal verspürt, über Algorithmen, die auch sie als Youtuberin beherrschen muss und über Ängste, die auch sie in Arnheim durchstehen muss, weil nicht jeder Fan das Nähe-Distanz-Ding so richtig verstünde, redet. Dennoch: Sinas Schritte sind wohl bemessen, ihre Worte wohl gewählt, so, als wolle sie über nichts und niemanden stolpern. Apropos: Der Spaziergang endet im Stiefel auf der Zülpe. Zu trinken gibt’s ein alkoholfreies Bier und einen Espresso. – Und was ist nun mit dem Traum? – „Naja, der geht hoffentlich erst einmal weiter“, lacht Sina. „In London zum Beispiel.“ Dorthin möchte sie nämlich nach ihrem Bachelor gerne ziehen, um Bands der europäischen Musikhauptstadt kennenzulernen, weiter an ihnen wachsen und ein, nein, ihr neues Lebens-Kapitel aufschlagen zu können. Ein bisschen was habe sie sich für dieses Unterfangen angespart. „Und wenn es nicht klappt, dann komme ich eben wieder zurück“, grinst sie. Wer hätte gedacht, dass sie das heute noch sagen würde? Ain’t time we said goodbye?, fällt Jagger dazu noch ein. Genau. Tschüss, mach’s gut, Sina.


Erschienen in der Stadtrevue

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