Dem Klang des Atlantiks auf der Spur: die Geschichten von Neuza, Naomi und Anna

Faro/Lissabon (kle) Da gibt es Neuza. Sie arbeitet in einer Tapas-Bar im Zentrum von Faro. Und: Ohne Reggea kann sie nicht leben. Da gibt es Naomi. Die gebürtige Britin passt schon seit zwei Monaten auf das Haus einer portugiesischen Familie auf. Und: Vor fünf Jahren hat sie ihr erstes, eigens produziertes Musikalbum auf Seite gelegt. Und da gibt es Anna. Sie hat vor ein paar Monaten einen Job und eine Bleibe in einem Hostel in Vila Nova de Milfontes gefunden. Manchmal vermisst sie den Ammersee. Und: AnnenMayKantereit aus Köln ist ihre Lieblingsband.

Jazz-Konzert auf dem Dach eines Hauses in Faro (Portugal). Foto: J.G. Klemenz

Aber von Beginn an: Portugal. Algarve. Faro. Gehört hat man schon viel über diese Gegend. Sonne, Sand und Surfer satt. Und so weiter und so weiter. Diese Geschichte kennen wir. Und sie ist abgenutzt. Neuza findet das auch. Sie steht etwas verloren vor dem Tapas-Restaurant in der Rua Rebelo da Silva in Faro. 8 Tapasheißt das. Ihre Dreadlocks passen zu der Musik, die aus dem Inneren der Bar vibriert: Reggea. Sehr sympathisch. Blame Game von Clinton Fearon läuft gerade, als ich mich setze. Don‘t stuck in the road. Der Chorus ist da erbarmungslos eindeutig. Aber ich widersetze mich seiner Botschaft. Bleibe bei Neuza. Die bringt mir Wein und Wurst. Die drei Köche hinten schwingen ihre Pfannen. Kunstvoll. Immer schön rhythmisch in der 2-4 Betonung. Sie freuen sich darüber, dass es mir schmeckt. Und dass ich mitgehe bei No Fear In Dub von Chezidek. Das sehe ich. Neuza sieht das auch. Sie liebe Reggea, schießt es dann plötzlich aus ihr heraus. Ohne den könne sie nicht leben. Geschweige denn arbeiten. Ein musikalisches Statement par exellence. Und dem folgt ein weiteres. Eins, mit dem man nicht rechnet. Eins, das an Originalität kaum zu überbieten ist. Neuza stellt mir ein kleines Töpfchen aus Gusseisen auf den Tisch. Darin liegt: Ein Smartphone. Und es spielt Esse Olhar Que Era So Teu von Dead Combo. Die gezupften Gitarren der Band aus Lissabon gehen unter die Haut. Für ein paar Sekunden wird es richtig still in der Bar. Fast andächtig. Einer der Köche hatte die Idee. Er grinst mich an. Dead Combo sei Kult in Portugal, ruft er mir zu. Hinter ihm brutzeln Paprikaschoten. Ich bin ergriffen. Seit Minuten schon. Bei der Verabschiedung bekomme ich noch einen Zettel von Neuza in die Hand gedrückt. Namen portugiesischer Bands und Musiker stehen auf dem. Primitive Reason, Orelha Negra oder Freddy Locks. Die könne ich ja in meine Playlist übernehmen, lacht sie. Gesagt. Getan. Was für ein Abend. Adeus, Neuza.

Bom dia, Aljezur. Von dort nämlich steige ich in einen Teil des Fischerwegs Richtung Norden bis nach Porto Covo ein. Der Fischerweg ist einer der bekanntesten Fernwanderwege Portugals und berühmt für seine atemberaubenden Steilklippen und verwunschenen Strände. Einer von denen heißt Praia do Carvalhal. An dessen Strand-Bar Carvalhal Beach Nature hängt ein Schild. Auf dem steht: It Feels Good To Be Lost In The Right Direction. Wie treffend, finde ich. Heute und überhaupt. Naomi findet das auch. Über den Weg gelaufen sind wir uns schon ein paar Kilometer weiter oben. Bei den Straussen. Da allerdings hatte ich noch keine Ahnung von ihrer musikalischen Lebensgeschichte. Sie ist eben nicht der Typ Mensch, der die sofort jedem aufs Auge drückt, denke ich später. Witzig war es daher zuerst. Aus der Mitte der Mitte Großbritanniens, genauer gesagt aus Rugby, komme sie -das Haus einer Familie ein paar Kilometer weiter im Hinterland behüte sie. Das alles erfahre ich von ihr. Und beim Thema Brexit rollt Naomi ihre Augen. Dazu: Rock Around The Clockvon Bill Haley & His Comets. Die Beach-Bar haut einen Oldie nach dem anderen raus.I‘ll be goin´ strong singt Haley. Passt. Hier und überhaupt. Finden wir.Die zwei Monate Aufenthaltsvisum für Portugal dagegen passen Naomi überhaupt nicht. Sie werde das Meer, die Menschen und die Musik hier ganz schön vermissen, wenn sie in drei Tagen wieder zuhause sein wird. Ihre eigene Musik, die vermisse sie allerdings nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr so heftig, wie noch vor fünf Jahren. Damals habe sie alles verloren. Von jetzt auf gleich. Zuerst ihren Lebensgefährten und Manager. Der verstarb. Plötzlich und völlig unerwartet. Kurz danach auch ihre Liebe zur Musik. Ein Album im Bereich Elektro haben sie zusammen produziert. 2017. Nach seinem Tod habe sie es nie wieder angerührt. Nie wieder herausgekramt. Nie wieder aufgelegt. Mehr als ein Schweigen bekomme ich nicht über meine Lippen. Ein musikalisches Statement par exellence.Mal wieder. Und ein menschliches dazu. We will keep in touch, Naomi.

Dieser Kontakt, dieser Touch, zwischen Anna und mir entwickelte sich recht schleppend. Anna steht heute Abend hinter der Bar im Hostel Selina Milfontes. Musik läuft. Aber keine erwähnenswerte. Irgendetwas von der Sorte Chill-Out. Mutlos. Genau wie auch der Weißwein. Vielleicht ist es besser, den schnell auszutrinken und früh ins Bett zu gehen, denke ich. Ein paar testosterongesteuerte Jungs schreien betrunken im Foyer herum. Anna wirkt müde. Für einen Moment vergisst sie ihr Englisch. „Das darf doch nicht wahr sein!“, stöhnt sie in bayrischem Akzent in sich hinein. Woher sie denn eigentlich komme, frage ich sie.Und dann war er da. Der Touch. Groß geworden sei sie in Landsberg a. Lech. Ein wirklich schönes Städtchen sei das, schwelgt sie. Später dann sei sie mit ihren Eltern an den Ammersee gezogen. Vor etwas mehr als einem Jahr habe sie schließlich entschieden für zwei oder drei Monate auf eigene Faust Portugal zu entdecken. Wie gesagt: Vor etwas mehr als einem Jahr.Das Land und ihre Freiheiten seien ihr mittlerweile extrem ans Herz gewachsen. Arbeiten und wohnen könne sie hier im Hostel. Sie komme klar. Wie das die Einheimischen mit ihren geringen Gehältern hinbekämen, sei ihr ein Rätsel. Zurzeit sei es schrecklich. Der Krieg. Die Inflation, denkt sie laut nach. Absurderweise schmeckt der Weißwein jetzt etwas besser, finde ich und beklage diesen Chill-Out Scheiß. Anna grinst. Die jungen Menschen würden hier nicht mit ernsthafter Musik konfrontiert werden wollen. Ich verstehe. Wenn es nach ihr gehen würde, liefe ganz viel von AnnenMayKantereit. Das sagt sie einfach so. Hier in Vila Nova de Milfontes. Ich bin erleichtert. Die drei Jungs aus Köln -Christopher Annen (git), Henning May (voc) und Severin Kantereit (dr) –sind nicht nur meine BeinaheNachbarn, sondern in der deutschen Rock-und Popwelt schon längst kein Geheimtipp mehr. Songs wie Pocahontas, Ausgehenoder auch Barfuß am Klavierberühren Anna. Auch das verstehe ich. Gut sogar. Eine halbe Stunde später liege ich im Bett. Mit AnnenMayKantereit. Ich träum dabei von dir / Ich träum dabei von dir. Até breve Portugal.

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Eine Stadtführung. Mit Musik.

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