Fury In The Slaughterhouse trifft auf Anna Reusch
Musikalische Begegnungen – Teil 2
Erkelenz(kle) Die Idee klingt eigentlich ganz einfach: Mit dem Lastenrad unterwegs durchs Rheinland, auf der Suche nach dem Lied oder dem Musikalbum des Tages. Vorgaben gibt es keine. Keine zeitlichen und keine organisatorischen. Alleine die Tagesform und das Gehör für den richtigen Moment zählen. Im Gepäck: Studentenfutter, ein paar Trauben, ein alkoholfreies Alt und die Hoffnung, dass der Rest schon irgendwie hinhauen wird. Wie gesagt: Die Idee klingt eigentlich ganz einfach. Eigentlich.
Und auch heute läuft es gut. Das Rad. Die Kette frisch geölt. Auch heute. Sonne. 27 Grad. Erkelenz wirkt wie ausgestorben an diesem Samstagnachmittag. Nur auf dem Marktplatz tummeln sich ein paar Sonnenanbeter. Ein Akkordeonist und ein Klarinettist spielen Chansons. Verstaubte. Wenige nehmen sie wahr. Schade. Dann: Raus aus dem Städtchen. Richtung Süden über die A46, rein nach Commerden. Idylle. Pferde auf der Koppel. Ein Mann poliert sein Auto. Viele Steinvorgärten. Das fällt auf. Musik: Bisher Fehlanzeige. Besorgt könnte man sein. Ich bin es nicht.
In Granterath bin ich es schon ein bisschen mehr. Zwei spielende Kleinkinder in der Mitte des Kreisverkehrs. Ein Lied des Tages, haben die das? Bestimmt. Aber ich störe sie nicht. Überquere stattdessen die K32. In Hetzerath wird‘s was geben. Weit weg jedenfalls ist dieses Örtchen nicht. Soviel sei vorweggenommen: Erreichen werde ich es heute nicht. Das liegt jedoch nicht an Nicole und Mike. Die beiden Mittvierziger sind mit ihren Rädern unterwegs. Sportlich sehen sie aus. Und glücklich. Verdammt glücklich. Sie halten an. Auf dem Weg nach Mönchengladbach seien sie. Zum Fury In The Slaughterhouse -Konzert. Mit Selig als Vorband. Wir grinsen. Wer kennt sie nicht, Songs wie„Time to Wonder“, „Won‘t Forget These Days“ oder „Radio Orchid“. Anfang der Neunziger konnte man sich als Heranwachsender den Liedern der Wingenfelder Brüder aus Hannover nicht entziehen. „Mit ihren Melodien und Texten waren die Schultage etwas erträglicher“, erzählt Nicole. Mike grinst. Wir grinsen. Mal wieder. Und Selig? Was für eine Band. Nachts ist man als Sechszehnjähriger mit Jan Plewkas Stimme eingeschlummert. Morgens ist man mit Jan Plewkas Stimme aufgewacht. Liebeskummer vorausgesetzt. „Langeweile besäuft sich / Meilenweit“. Wir grinsen. Mal wieder. Halten inne. Kurz. Dann radeln die beiden Mittvierziger weiter. Glücklich sehen sie aus. Verdammt glücklich. Tschüss. Und Danke. Nicole und Mike.
Besser kann es nicht mehr werden. Zwei hervorragende Musikalben des Tages von zwei geilen Bands in der Tasche. Prima. Plötzlich: Ein paardumpfbassige Schläge. Irgendwo zwischen jungen Zuckerrüben und frischem Hafer. Hetzerath muss warten. Ich biege vorher ab Richtung Haus Hohenbusch. Ein Fest im Feld? Der Bass wird lauter. Immer lauter. Zeltpavillons und Nebelfluid erheben sich vor mir. Linker Hand. Kein Fest. Ein Festival. Mitten im Irgendwo. Mitten im Feld: Das Electricity Campsite. Der kleine Bruder des Electrisize Festival. Rabea Schreiber –Pressesprecherin des Festivals und Projektmanagerin der Kulturgarten GmbH Erkelenz –führt mich über das Gelände. Anna Reusch legt da gerade auf. Sie ist so eine Art Star in der europäischen Elektroszene. Um sie herum: Mittzwanziger. Etwa 200. Tanzend. Zappelnd. Aufgeheizt. Andere sitzen phlegmatisch vor ihren Zelten. Die Nacht war kurz für alle hier. Später erzählt mir Anna von ihren Pferden zuhause und davon, wie sie schon als 15-Jährige auflegte und dass sie heute Abend noch nach Istanbul fliege. Zum nächsten Job. Die Frage des Tages nutzt sie für ein kurzes Statement: Einen Lieblingssong oder ein Lieblingsalbum habe sie zurzeit nicht. Dass viele ihrer Kollegen in den letzten Jahren zunehmend Fragmente bekannter Musikklassiker in die Eigenkompositionen miteinbauen würden, stimme sie etwas traurig. Sie hoffe in Zukunft wieder auf etwas mehr Mut auf dem Feld der kompositorischen Kreativität. Aber: „Knocking“. Diesen Track lege sie im Moment am liebsten auf. Guten Flug. Und vielen Dank. Anna.
Jörg Klemenz mit Anna Reusch. Foto: I. Kundoch
Auf Gleis 3 am Bahnhof Erkelenz endet schließlich im Lichte der Dämmerung meine zweite Suche nach dem Lied oder dem Musikalbum des Tages. Die Idee klingt eigentlich ganz einfach. Eigentlich. Fury In The Slaughterhouse, Selig und Anna Reusch. Wer hätte das gedacht.