Beethoven trifft auf Udo Jürgens
Musikalische Begegnungen – Teil 1
Neuss/Grevenbroich(kle) Die Idee klingt eigentlich ganz einfach: Mit dem Lastenrad unterwegs durchs Rheinland, auf der Suche nach dem Lied oder dem Musikalbum des Tages. Vorgaben gibt es keine. Keine zeitlichen und keine organisatorischen. Alleine die Tagesform und das Gehör für den richtigen Moment zählen. Im Gepäck: Studentenfutter, ein paar Trauben, ein alkoholfreies Alt und die Hoffnung, dass der Rest schon irgendwie hinhauen wird. Wie gesagt: Die Idee klingt eigentlich ganz einfach. Eigentlich.
Musikreporter Jörg Klemenz vor dem Neusser Zeughaus kurz vor dem Start seines Projektes „Mit dem Lastenrad durch das Rheinland auf der Suche nach dem Lied oder dem Musikalbum des Tages“. Foto: Andreas Woitschützke
Und es läuft gut. Das Rad. Die Kette frisch geölt. Der Kasten frisch gestrichen. Vom Zeughaus geht es zunächst vorbei am Botanischen Garten Richtung Selikum. Runter zur Erft. Auf dem Weg dorthin verspüre ich plötzlich ihren Atem in meinem Nacken. Sie ist zu schnell für ihren Mann Peter. Johanna. Ein paar Minuten radeln wir dann gemütlich nebeneinander, denn zur Erft runter wollen sie auch, rufen die beiden freundlich. Das passt ja gut. Etwas unruhig wirkt Johanna auf ihrem Fahrrad. Das sage ich ihr. Sie muss schmunzeln. Und dann erzählt sie von ihrer 100-jährigen Mutter, wie Sie sie die letzten Jahre zusammen mit ihrem Mann gepflegt habe. Das sei für sie heute die erste Radtour seit sechs Jahren. Dabei sei sie doch immer so gerne gefahren. Selbst während ihres Medizinstudiums damals inBonn habe sie sich an den freien Wochenenden oft mit ihrem klapprigen Drahtesel auf nach Neuss gemacht. Ich schweige. Bevor sich im Selikumer Park unsere Wege trennen, fällt ihnen zu meiner Frage des TagesLudwig van Beethoven und dessen Klaviersonate Nr.17 „Der Sturm“ein. Heute Morgen hätten sie die gehört. Zusammen, betonen sie. Gar keine klassische Begegnung: Johanna und Peter.
Entlang der Erft paddeln ein paar Kanuten flußabwärts. Sie winken. Warum eigentlich immer so weit wegreisen, denke ich. Irgendwo zwischen Erft und Helpensteiner Graben endet der Weg abrupt. Stoppelfeld. Die Beschilderung ist verbesserungswürdig, denke ich. Ein weiteres Musikalbum scheint zu diesem Zeitpunkt in weiter Ferne zu sein. Der heiße Tipp einer Spaziergängerin: Das Alte Bootshaus. Vielversprechend. Der Wirt im Bootshaus steht gelangweilt hinter seinem Zapfhahn. Es riecht nach Gulaschsuppe und Bockwurst. Musik: Fehlanzeige. Wo ist sie bloß, denke ich.
Kurz hinter der Rakenstation Hombroich werden mutige Paragleiter von einer Seilwinde in luftige Höhen gezogen. Beim Start und bei der Landung wirbeln sie Staub auf. Was sie von dort oben wohl so alles sehen? Bestimmt auch die Wunden der Erde. Das macht mich traurig. Etwas. Ich fahre weiter. Nach Kapellen. Am Eiscafé il Gelatone stoppe ich und bestelle eine Kugel Schokoladeneis. Musik: Fehlanzeige. Wo ist sie bloß, denke ich besorgt. Etwas.
Aber dann kommt unser Moment. Der von Dorothea und mir. Irgendwo zwischen Pferdekoppeln und Naturwiesen nahe Wevelinghoven fahre ich beinahe an ihr vorbei. Beinahe. Denn ich sehe ihre weißen Kopfhörer. Im letzten Augenblick. Bei der Frage des Tages wird Dorothea emotional. Generell scheint sie eher nahe am Wasser gebaut zu sein. So denn platzt es aus ihr heraus. Udo Jürgens. Den höre sie. Ausschließlich den. Seine Lieder gäben ihr Kraft und hätten sie schon durch so manche Lebenskrise getragen. Selbst ihre Enkelin trällere auf langen Autofahrten Udos Melodien textsicher mit, erzählt sie stolz. Das berührt mich. Lieder, die im Schatten stehen,das sei ihr absolutes Lieblingsalbum von Jürgens. Mein Freund, der Clownoder Dann kann es sein, dass ein Mann auch einmal weintsind wahrscheinlich die Lieder mit den sonnigsten Plätzen auf dieser Platte. Danke für deine Offenheit. Merci. Dorothea.
Jörg Klemenz im Gespräch mit Dorothea. Foto: I. Kundoch
Auf Gleis 4 im Bahnhof Grevenbroich endet schließlich im Lichte der Dämmerung meine erste Suche nach dem Lied oder dem Musikalbum des Tages. Die Idee klingt eigentlich ganz einfach.Eigentlich. Beethoven und Udo Jürgens.Wer hätte das gedacht.