Doron David Sherwin - ein besonderer Abend mit Startschwierigkeiten

Neuss (kle) Ein besonderer Abend im Neusser Zeughaus. Der Star: Der krumme Zink. Etwas verloren wirkt Doron David Sherwin, einer der weltbesten Zinkenisten, hinter seinem Notenständer. Sherwin setzt das Kesselmundstück des von dunklem Leder überzogenen Cornetto curvo (ital.) gekonnt an seine gespitzten Lippen. Kurzer Auftakt durch Haru Kitamika am Cembalo zu „Sonata sesta“ von Giovanni Battista Fontana, und dann erklingt der Zink. Zum ersten Mal an diesem besonderen Abend.

Eine dreiviertel Stunde vorher: Der Musikwissenschaftler Dr. Mattias Corvin interviewte Sherwin etwa zwanzig Minuten lang zu Zink, Alter Musik und Jazz. Er beantwortete alle Fragen auf leichtfüßig-kalifornische Weise, ließ sich jedoch in diesem Rahmen der Konzerteinführung zu keiner kurzen instrumentalen Kostprobe hinreißen. Vertrösten allein konnte sein flapsiger Abgang mit den Worten „Na, dann bis gleich!“ und die dritte Zeile der Informationsbroschüre über den Zink. Hier ist zu lesen, dass der französische Gelehrte Marin Mersenne das Blasinstrument, das seine Blütezeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert hatte, mit einem Sonnenstrahl, der das Dunkel erhelle, vergleicht.

Die Messlatte der Erwartungen ist also hoch. Vielleicht etwas zu hoch. Der Klang des Zink erinnert, einfach gesagt, zugleich an den einer Trompete und Klarinette. Sherwin kämpft sich durch die „Sonata sesta“, seine Fingerfertigkeiten: Unbestritten außerordentlich. Virtuos rhythmische Wechsel: Viertel,- Achtel- bis hin zu rasanten 64tel-Variationen durchtakten den Konzertsaal. Es ist heiß. Die Heizung des Zeughauses ist defekt. „Der Außerirdische“, so nannte die Diapason Sherwin einst, schwitzt. So richtig kommt er nicht rein, das Zusammenspiel von Kitamika und ihm, es hakt in einigen Passagen. Flüchtig nervös schauen sie sich an. Und der Sonnenstrahl, der das Dunkel erhelle? Der versteckt sich bisweilen noch hinter dunstigen Nebelschwaden.

Seine Spielpausen nutzt Sherwin aktiv. Hektisch befeuchtet er seine Lippen mit der Zunge, während er gleichzeitig eine Art Schnur, an deren Ende ein kleiner Lappen angeknotet ist, zwei- oder dreimal durch den Zink zieht. Dies verbessere die Blasakzentuierungen für das weitere Spiel enorm, erläutert er nach dem Konzert. Und immer wieder fasst er sich mit seinen Händen ins Gesicht, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Dabei zuckt er ab und zu rhythmisch aufgeladen mit seinem Kopf, geht jede spielerische Raffinesse seiner japanischen Begleiterin sichtbar mit.

Und das hilft ihm. Plötzlich ist er da. Präsent. Seine Körperspannung: Wie ausgewechselt. Kitamika ist erleichtert, das Publikum entzückt. Sherwin kniet sich in jede Triole, in jeden Taktwechsel. Das Cembalo - Kitamika - und der Zink - Sherwin: Endlich „sprechen“ die beiden miteinander, hören einander zu. „The Image Of Melancholy“ von Anthony Holborne wird zur Kehrtwende, der Schluss mit „Flow, My Tears“ von John Dowland zum Höhepunkt des mittlerweile genialen Zusammenspiels der beiden Ausnahmemusiker. Ein besonderer Abend im Neusser Zeughaus.

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