Tokio Hotel sind so viel mehr als nur “Monsun”
Köln (kle) „Die gibt’s noch?“, fragt der Taxifahrer erstaunt seinen Kollegen. Oh ja, Tokio Hotel, die gibt es noch, und sie spielten am Montagabend im Rahmen ihrer aktuellen „Beyond The World“-Tour vor rund 2.000 Fans im Kölner E-Werk ein Konzert, das vieles zu bieten hatte: Glitzer, Glamour und ein bisschen Geschmäckle.
Denn die Band ist eine geschäftliche Kooperation mit dem E-Zigaretten-Hersteller „Vuse“ eingegangen, kurzum: Die vier Jungs machen Werbung für eben deren Zigaretten. Kaufen kann man also 500 Züge einer Einweg-E-Zigarette in den Geschmacksrichtungen „Blueberry Ice“ oder „Creamy Tobacco“ direkt neben der Theke. Vuse hier, Vuse da, Vuse überall. Der Vuse-Schriftzug im E-Werk ist präsent, wohin man schaut. Ziemlich uncool das alles.
Um Punkt neun schließlich fällt zu ein paar mystischen Synthi-Klängen und dumpfen Drums der Vusehang, Pardon, der Vorhang, und zu sehen sind Tom Kaulitz, Georg Listing und Gustav Schäfer. Das ohrenbetäubende Gekreische der meist Mitt-Dreißiger geht in die erste Runde. In die zweite Runde geht es, als dann plötzlich Bill Kaulitz im Lichte der Scheinwerfer mit einer Flying V-Gitarre und in einem gefransten Glitzer-Body vor seinen Fans steht und „Don't wanna be alone tonight“ in seiner unnachahmlich lasziven Stimme singt.
Ja, Bill steht hart im Wind, die Windmaschine macht ihren Job wirklich gut. Wehen seine blonden Locken doch rockstar-like im Rhythmus von „Automatic“, „We Found Us“ und „Girl Got a Gun“. Sein Outfit erinnert stark an die Glamrock-Zeiten der 1980er-Jahre. David Lee Roth hätte hier heute Abend seine wahre Freude gehabt. Und Bills Bewegungen: Man weiß nicht so genau, ob er sich an die Musik oder die Musik sich an ihn schmiegt. Egal. Fantastisch sieht es aus. So natürlich. Apropos natürlich: Damals, 2005, als „Durch den Monsun“ durch die Decke ging, waren die heutigen Mitt-Dreißiger in etwa 15 Jahre jung. Aber von ihrem Geräuschpegel haben sie nicht das Geringste eingebüßt. Schreien sie sich doch ihre E-Zigaretten-Lunge aus der Seele. Jeder noch so kleine Schritt der Kaulitz-Zwillinge auf der Bühne wird hysterisch kommentiert. Wahnsinn. Jemand vom Sicherheitspersonal steckt sich nun doch etwas Watte in seine Ohren. Kein Wunder, dass die zwei Brüder vor über zehn Jahren nach Los Angelos ausgewandert sind, könnte man denken. Und denken und meinen kann man viel über das, was da so tagtäglich geschrieben steht in den Gazetten dieser Welt über Kaulitz, Klum und Co. Ihre Songs jedoch, die sind richtig gut. Bergen sie doch oftmals neben ihrer Eingängigkeit eine gehörige Portion Melancholie und Kraft in sich: „They're telling me it's beautiful / I believe them but will I ever know / The world behind my wall?“ Das ist stark.
Irgendwann bei der Nummer „Just A Moment“ sitzen Tom und Bill einfach nur so nebeneinander. Tom mit seiner Akustikklampfe, Bill in seinem mittlerweile dritten Glitzer-Body. So oder so ähnlich muss es bei den beiden im gemütlichen Kaulitz-Wohnzimmer vor 2005 gewesen sein. Vielleicht. Das E-Werk jedenfalls wird ganz still. Bevor es dann mit „Love Who Loves You Back“ nochmal so richtig abgeht. Das ist die Art von Song, den man hört, wenn man nach einer langen Nacht aus dem Club herausgekehrt wird. Na klar, am Ende spielen Tokio Hotel auch noch „Durch den Monsun“. Das müssten sie aber nicht, weil die vier Jungs aus Magdeburg schon längst keine vier Jungs mehr sind.