Sam Smith in drei Akten
Köln (kle) Als um kurz vor halb elf die Flutlichter der Kölner Lanxess-Arena wieder angehen, wird den meisten der 18.000 Besuchern wohl langsam klar, dass sie weit mehr als nur ein Konzert erlebt haben. Denn: Sam Smith, nichtbinäre Person aus Großbritannien, die durch Songs wie „Stay With Me“ oder „I’m Not The Only One“ 2014 zu Weltruhm gelangte, breitete dem Publikum für fast zwei Stunden in drei Akten ihre Seele aus. So etwas Großes hat man schon lange nicht mehr gesehen. Oder um es mit den Worten eines Fans zu sagen: „War das geil, oder was?“ Doch von vorn.
Die Arena ist so voll wie selten in den letzten Jahren. Viele der Zuschauer sind selbstbewusst gekleidet. Schrill. Viel Spitze ist zu sehen. Und auf der Bühne ist eine Art Hügellandschaft auszumachen, die von einem weißen Samt-Tuch eingehüllt ist. Viel Raum für Spekulation, was sich wohl darunter verbirgt. Als dann das Lied „TipToe Through The Tulips“ aus den Lautsprechern ertönt und die Scheinwerfer erlöschen, ist die Spannung auf den Rängen beinahe mit Händen zu greifen. Akt I - die Liebe - beginnt. Nur eine goldene Tunika bedeckt die Tänzerin, die plötzlich ruhigen Schrittes auf die Bühne stolziert, das weiße Samt-Tuch packt und es schließlich beherzt herunterreißt. Die Zuschauer jubeln und kreischen bis zum Anschlag, erblicken sie doch eine riesige goldene Statue, die nackt - halb auf dem Bauch, halb auf dem Rücken liegend - glückselig in die Menge schaut, obwohl ihre Augen doch eigentlich geschlossen sind. „Was ist denn das für ein geiles Bühnenbild?“, schreit eine Dame ihrem Nachbarn ungläubig entgegen. Als zu all dem auch noch der Hauptprotagonist des Abends langsam aus dem Lendenbereich der Statue emporgehievt wird und engelsgleich „Guess it′s true, I'm not good at a one-night stand / But I still need love ′cause I'm just a man“ singt, muss man fast ein bisschen Sorge um den ein oder anderen hyperventilierenden Fan haben. Smith selbst hat wohl Hand angelegt, als der Jubel erfunden wurde, könnte man denken.
Natürlich muss man auch etwas zu Smiths Kleidung sagen, weil sie für Smith und an Smith nicht nur ein Stück Stoff, sondern auf extreme Art und Weise auch Ausdruck seiner Person ist. Trotz einer wilden Kombination aus Hemd, goldener Hose und einem darüber hängenden Korsett, dass nur von einer Krawatte gehalten wird, nimmt Smith sich wenig wichtig, ruft den Fans stattdessen „You look so beautiful tonight!“ zu. Smith fühlt sich richtig wohl, das merkt man. Und wenn Smith sich bewegt, bei der Nummer „Diamonds“ so ganz in sich ruhend wie ein kleines Kind dahintanzt, geschieht das bedächtig, langsam und so voller Würde. Das Publikum feiert jeden Beinschlag, jedes noch so kleine Lächeln, das Smith schüchtern loslässt. Es braucht daher nicht viel, Smith ist Aura und Statement zugleich: Sei du selbst und liebe dich, wie du bist. Und dann singt Smith „I'm hoping that my love will keep you up tonight“. Die einen jubeln, die anderen schluchzen. Völlig egal. Eine kollektive Therapiestunde ist das. Akt II - die Schönheit – beginnt, und Smith wechselt seine Kleidung nun fast im Minutentakt. Einmal steht Smith da oben in einem lilafarbenen Kleid und singt den Song „I‘m Kissing You“ so, als wäre Smith nicht von dieser Welt. Die alte Kollegin Gänsehaut jedenfalls hat einiges zu tun an diesem Abend. Ganz besonders bewusst wird ihr das wohl bei den Nummern „Lay Me Down“ und „Love Goes“. Die Arena ertrinkt in einem Smartphone-Lichtermeer, Tänzerinnen und Tänzer in Glitzer-Anzügen drehen und wenden sich um ihre eigene Achse, werfen sich bei „Gimme“ schmerzverzehrt auf den Boden oder twerken lustvoll auf der Statue. Eins jedoch ist klar: Das alles ist mittlerweile eine ganz schöne Reizüberflutung. Oder um es mit den Worten einer Zuschauerin auszudrücken: „Man weiß gar nicht, wohin man gucken soll.“ Akt III - die Sexualität – beginnt.
Das Drama in drei Akten endet, wie es enden muss: in einem Infernal. Eine Stimme aus dem Off flüstert in Anlehnung an Madonnas Song „Human Nature“ in ständiger Wiederholung „Express yourself don't repress yourself“, und Smith, mittlerweile als Satan in Netzstrumpfhose und Lackstiefeln gekleidet, steht hoch oben auf dem Allerwertesten der in sich ruhenden Statue und peitscht bei „Unholy“ die Menge mit seinem Dreizack an. Die Sexualität, hier befreit sie sich von ihren angelegten Zwängen und Normen. „War das geil, oder was?“