The Jesus and Mary Chain: wie ein Tausendfüßler unter Opis Bettdecke
Köln (kle) Man kann so einiges lesen über die beiden Reid-Brüder Jim und William, die seit Mitte der 1980er-Jahre mit ihrer Noise-Pop-Band The Jesus and Mary Chain zu den Wegbereitern des sogenannten Shoegazing gehören. Unter anderem auch, dass die Auftritte zu Beginn ihrer musikalischen Karriere manchmal nur zehn Minuten dauerten, sie dabei mit dem Rücken zum Publikum standen und anwesende Journalisten oder Fotografen bespuckten.
Das alles geschah am Freitagabend während ihrer Show in der Live Music Hall vor etwa 800 Fans nicht. Aber Achtung. Spoiler-Alarm: Etwas anderes Spannendes passierte auf dem nicht ganz ausverkauften Konzert jedoch auch nicht wirklich. Die brandneue Einstiegsnummer „jamcod“ zum Beispiel, die vor allem aufgrund ihres Wechselspiels von plötzlich brachial-verzerrtem Gitarrenspiel und dumpf-elektronischen Beats so ein bisschen an die englische Crossover-Kombo Republica aus den 1990er-Jahren erinnert („Ready To Go“), haut einen nicht gerade vom Hocker. Kann man hören. Muss man aber nicht. Generell plätschern die ersten Songs – „Head On“ oder „Far Gone and Out“ – so dahin. Der Sound ist indifferent. Einfach schlecht. Reids Gesang vergräbt sich im Gewäsch der übrigen Instrumente, er wirkt gepresst, seiner Stimme allerdings hört man gerne zu, denn sie könnte das kleine Schwesterlein des rangältesten Timbres namens Gahan sein.
Mehr Pfeffer im Podex hat dann „All Things Pass“. Alles in allem aber besitzt das Gesamtpaket The Jesus and Mary Chain keine nennenswerte Dynamik. Da ist zu wenig Dampf im Kessel, die Band klebt förmlich und musikalisch am Boden fest. Die einzig wahrnehmbaren Bewegungen gehen vom Schlagzeuger Brian Young, dessen Eggshakern und Sticks aus. Doch dann, man rechnet schon gar nicht mehr damit, kriechen die Gitarren-Akkorde in das Arrangement von „Chemical Animal“ hinein wie ein wagemutiger Tausendfüßler unter Opis Bettdecke. Genial.
Schade, dass Reid zwischen den Songs nur wenig zu seinen Fans spricht. Schottische Zurückhaltung nennen es die einen, eine stilvolle Energie-Einsparung die anderen. Die fünf Rock-Pop-Legenden aus East Kilbride kokonieren sich mithilfe ihrer Werke, die sie roboterähnlich und wie abgespult zum Besten geben, auf der Bühne ein. Aber: Den Zuschauern gefällt es, der Kollektiv-Mood ist „Lass-Dich-Treiben“. Vor allem bei „In a Hole“. Denn das ist ein Lied, das man hören möchte, wenn der gesamten Menschheit klar ist: Der wird wohl hart einschlagen. Dieser riesige Meteorit. Endlich beißt sich Reids Stimme mal so richtig fest. Irgendwo zwischen Gehörgang und Schläfenlappen. Genial, Teil 2.