Joe Bonamassa: Mr. Blues ist wieder auferstanden

Köln (kle) Vorstellen kann man sich das in etwa so: Da steht um kurz vor acht ein 46-Jähriger Gitarrist in dunkler Jeans und Sneakers zusammen mit seinen Musiker-Kumpanen auf einer für die Lanxess-Arena ziemlich kleinen Bühne, die durch ein paar altertümliche Scheinwerfer wie eine 80er-Jahre-Diskofläche in gelb-rot-blauem Licht versinkt, und man fragt sich: Ist das schon der Hauptact des heutigen Abends, ist das die Gitarristen-Legende Joseph Leonard „Joe“ Bonamassa, der einst mit Oakley jr., Erin Davis – dem Sohn von Miles Davis – und Waylon Krieger die Band Bloodline gründete, oder hat sich diese Kombo einfach nur in die Arena verirrt und wartet vielleicht stattdessen irgendwo im Kölner Umland ein frisch gebackenes Hochzeitspärchen just in diesem Moment auf seine Hochzeitsband?

Spätestens bei dem Song „Well, I Done Got Over It“ erübrigt sich jedoch diese Fragerei. Der wahrhaftige Bonamassa animiert die ersten bestuhlten Reihen immer wieder durch wedelnde Armbewegungen, doch bitteschön irgendeine Reaktion zu zeigen, während er spielt und ab und zu so etwas singt wie „Lord, I done got over it“ (Herr, ich habe es überstanden). Denn: Dessen Fans bestaunen zwar seine virtuos-betörenden Saitenkünste, aber in ihrer Huldigungs-Starre vergessen sie oftmals zu applaudieren. Dieser steife Knoten jedoch platzt sehr schnell. Keine Frage: Da sind instrumentale Profis am Werk, die genau wissen, um was es bei einem verminderten Akkord, bei Ghost Notes oder bei Wechseln von binären zu ternären Systemen geht. Und zugegeben: Der mehr als klischee-behaftete Bluesrock besitzt etwas Urgemütliches, etwas Ursprüngliches. Dennoch verlieren sich die teils zeitlupenartigen Beats und Gesangslinien irgendwie irgendwo in den unendlichen Weiten der arenalen Deckenverstrebungen. Das E-Werk wäre eine denkbar gute und mutige Alternative für Bonamassa gewesen, ein Blue Shell sogar eine Art atmosphärisches Viagra.

Eine Stunde später dann, bei der Nummer „The Last Matador of Bayonne“, fühlt es sich gar so an, als trüge der Meister höchstpersönlich den Bluesrock zu Grabe, wenn er „Soon, the last curtain falls“ (Bald fällt der letzte Vorhang) ins Mirko säuselt. Seine schier endlosen Gitarrensoli zwischendurch drücken die Tränenflüssigkeit mit ein bisschen mehr Würde aus den Drüsen. Aber dann, so kurz vor der Einmottung einer schon fast totgeglaubten Musik-Stilistik, geschieht etwas Unglaubliches: Die etwa 500 Zuschauer der hinteren Stuhlreihen, sie stehen auf. Rennen vor bis zum Bühnenrand, wollen ihren Idolen – dazu gehört auch Pianist Reese Wynans, der 2015 in die bekannte Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde - ganz nahe sein. Der Auftritt der Blues-Legende verwandelt sich in ein Konzert, die Arena in ein Blue Shell. Der vorher zu Grabe getragene Mr. Blues ist auferstanden. Das ist magisch. Das ist Musik.


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