So beeindruckend war das Konzert von Paula Hartmann
Köln (kle) „Paula, Paula, Paula!“, rufen die rund 3500 Fans im Kölner Palladium ihrem Idol zu, weil sie irgendwann genug haben von G-Units „Stunt 101“ oder Peter Fox‘ „Schwarz zu Blau“ aus den Lautsprechern. Und weil Paula Hartmann, die 22-jährige deutsche Schauspielerin und Sängerin aus Berlin, die sich mit ihrem zweiten Album „Kleine Feuer“ auf gleichnamiger Tour befindet, das scheinbar genauso fühlt, schleicht sie sich zu den mit knisternden Beats untermalten Lyrics von „Der Struwwelpeter - Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug“ auf die Bühne. Im rot getränkten Scheinwerferlicht erkennt man plötzlich das aufgebaute Bühnenbild: die Silhouette der Berliner Oberbaumbrücke samt einiger Kreuzberger Hausfassaden. Wie eine Ritterin in Hoodie kommt Hartmann unter der Brücke hervorgesprungen und rappt „Ich leg kleine Feuer / Kapuze eng, zu neunt im Benz / Speaker völlig übersteuert / Immer Stress, niemals Zen“. Die langgezogenen Bässe schütteln einen ordentlich durch. Beeindruckend.
Und ihre überwiegend weiblichen Fans der Generation Y oder Z in Sneakern und weißen Tennissocken gehen von Sekunde eins an ab, wippen bei „DLIT (die Liebe ist tot)“ die Halle auseinander. Bis, ja, bis Hartmann schon nach der zweiten Nummer ein kurzes Päuschen einlegt und von ihrer derzeitigen Entzündung im Hals-Nasen-Ohren-Bereich spricht. Der HNO habe ihr zum Tourabbruch geraten. Der sei für sie aber nicht in Frage gekommen, sie setze lieber auf ein paar Medikamente, erzählt sie. „Vielleicht unterstützt ihr mich heute noch ein bisschen mehr“, flüstert sie ins Mikro. Kollektiv kriecht die Bewunderung für Hartmanns Haltung von den Socken hoch in die Gesichter ihrer Fans. „Ich finde sie so toll“, schreit eine Zuschauerin ihrer Freundin ins Ohr. Sekunden später hockt die Sängerin wie eine Göttin der Stadt hoch oben auf einem Häuserdach und singt zusammen mit allen „Ohren knacken, um mich rauscht der Verkehr / Doch niemand hat mir gezeigt, wie man fährt“.
Hartmanns Songs, eine Mischung aus deutschsprachigem Hip-Hop und Elektropop, dauern oftmals nicht länger als zwei Minuten, sind nah dran an internationalen Soundstandards und bewegen sich textlich irgendwo zwischen brutaler Selbstoffenbarung und einem authentischen Eingeständnis, in Bereichen der Liebe, des Berufs oder der eigenen Entwicklung orientierungslos gestrandet zu sein. Titel wie „Kugeln im Lauf“, „Gebrochenes Glas“ oder „Kein Happy End“ sprechen eine klare Sprache des Scheiterns, die das Palladium frenetisch mitspricht. Das macht traurig und lässt aufhorchen. Und spätestens bei der Nummer „Geruch von Koks“, die die Wahl-Hamburgerin zusammen mit dem deutschen Rapper Haftbefehl komponierte, klatschen Hartmanns ehrliche Botschaften auf den Granitboden der Bitterkeit: „Der grade Weg, er ist verbogen / Ich steh' am Rand, wer will mich stoßen?“ Dass ausgerechnet jetzt die Show aufgrund einiger umgekippter Zuschauer im Innenraum kurzzeitig unterbrochen werden muss, mag Zufall sein. Totenstille. Eiskalt läuft es dem Rücken des Palladiums herunter.
Später jedoch ist das alles wieder vergessen. Fliegen bei den verschiedenen Remixen von „Babyblau“ weiße (?) Konfetti durch die Lüfte, stampft Hartmann zu den aggro-Rhythmen von „Kleine Feuer“ ihre Verse entschlossen und wild wie ein Rodeo-Pferd in den Boden: „Wir sind alle Psychos, ihr nur Spiegel / Machen auf gefühllos, doch woll'n Liebe“.