Santiano segeln hart am Wind
Düsseldorf (kle) Nach knapp zwei Stunden Konzert schreitet Sänger Björn Both für die Zugabe noch einmal auf die Bühne der Düsseldorfer PSD Bank Arena. „Wir sind nicht die Art von Männern, die mit nur einem Messer im Rücken nach Hause gehen“, sagt er. Hinter ihm liegt ein Auftritt, bei dem allzu selten eine Bindung zwischen ihm und den knapp 3000 Zuschauern entstanden ist.
Vor dem Konzert ruft ein junger Mann draußen auf dem Vorplatz, er habe noch Eintrittskarten zu verschenken. Drinnen dann ist es ruhig, fast gespenstisch ruhig. Die Stuhlreihen im Innenraum ein paar Minuten vor Konzert-Beginn sind schon ganz gut gefüllt. Zwei Jungs essen entspannt Nachos auf ihren Plätzen im Oberrang. Die meisten Sitze dort oben allerdings bleiben heute Abend frei. Ein Pausen-Gong ertönt. Fast wie in der Schule. Kurz darauf gehen die Lichter der Arena aus. Das Hupen eines Schiffshorns ertönt. Dazu: Eine dunkle Streichermelodie. Die Band aus Schleswig-Holstein schleicht auf die Bühne. Das Publikum klatscht entzückt. Scheinwerfer an. Und los geht es mit „Wenn die Kälte kommt“. Gut ist der Sound. Rein. Angenehm laut. Differenziert. „Die frostigen Gesichter erstarren zu Grimassen“ singt Both. Kunstschnee fällt auf die Bühne.
Aber: Ordnung muss sein. Ein Crew-Mitglied schlängelt sich schon bei der nächsten Nummer gekonnt um Both und Co. herum. In der Hand: Ein kleiner Feger. Mit dem kehrt er die Schneeflocken auf, die auf der Bühne liegengeblieben sind. „Pete“, Violinist von Santiano, legt sich bei „Land Of Green“ ins Zeug. Dabei haucht er seiner Geige Leben ein. Irish Folk wie aus dem Bilderbuch. Man träumt sich in ein gemütliches Pub irgendwo an der Küste auf der grünen Insel. Bei „Heave Ho“ klatschen die Zuschauer im Takt mit. Die eingängige Rhythmik und das zarte Flötenspiel zu Beginn des Liedes laden förmlich dazu ein. Dabei auf der großen Leinwand im Hintergrund zu sehen: Ein Dreimaster. Der wird von den hohen Wellen auf- und abgetrieben. So weit, so gut.
Dann allerdings wirkt Sänger Björn Both etwas genervt. Zehn Sekunden mehr Applaus wären schön gewesen, feixt er. Die Zuschauer nehmen es stoisch zur Kenntnis. Both bekommt noch einmal die Kurve und bedankt sich schließlich bei allen Menschen, „die den Apparat in den letzten zweieinhalb Jahren am Laufen gehalten haben“. Diese doppelte Art des Redens jedoch, die klebt ab diesem Moment wie ein Stück Kaugummi am weiteren Konzertgeschehen. Both hält zum Teil minutenlange Vorträge über die gesellschafts-politische Lage der Nation, über den Krieg in der Ukraine und über den Klimawandel. Die Musik gerät dadurch zeitweise in den Hintergrund. Das Publikum bleibt gelassen. Das ist Both zu wenig an Emotion. „Lärm!“ schreit er deshalb nach dem Lied „An't Enn vun de Welt“ und „Freiheit!“ nach „Lieder der Freiheit“. Er will Gefühle erzwingen. Dass das so nicht funktioniert, ist allen Beteiligten klar. Erst auf der Zielgeraden wird die Stimmung gelöster. Both hört auf zu reden. Santiano fängt an zu spielen. Und das ist geil. Vor allem die Songs „Der Alte und das Meer“, „Wellerman“ und „Mädchen von Haithabu“ bringen Bewegung ins Publikum. Die Fans vergessen für ein paar Minuten den Alltag. Vielleicht. „Hoch im Norden weht ein rauer Wind“ singen dann am Ende alle ausgelassen mit.