Kniefall vor Legende Sir Elton John
Köln (kle) Sie im Minirock und mit einer gelbglasigen Brille auf der Nase, er im weißen Rüschenhemd und mit Glitter im Gesicht: Diese beiden eingefleischten Fans werden wohl wissen, dass ihr Idol eine intensive Freundschaft mit Rapper Eminem pflegt, elektronische Musik liebt und sogar eine eigene Figur bei den Simpsons ist. Für die meisten im Publikum ist Elton Hercules John jedoch einfach nur eine der größten Pop-Ikonen der letzten 55 Jahre Musikgeschichte. Und die trat gestern Abend im Rahmen ihrer „Farewell Yellow Brick Road“-Tour in einer restlos ausverkauften Lanxess-Arena vor etwa 16.000 Zuschauern auf. Fünf Tage zuvor noch musste der Brite aufgrund eines viralen Syndroms sein geplantes Konzert in Mannheim ersatzlos absagen.
Daher blickte die Fach- und Fan-Welt nach dessen kurzfristiger Erkrankung umso interessierter auf sein „Comeback“ in Köln. Schon etwas länger zumindest ist es her, dass Fans mit kleinen Pappschildchen draußen vor der Arena gestanden haben, auf denen „Suche Ticket!“ steht. Das Ende der Schlange vor dem offiziellen Ticketschalter scheint kein Ende nehmen zu wollen. Die Gänge im Arena-Rondell sind proppenvoll, Sonnenbrillen-Liebhaber, wohin das Auge reicht. Und in der Halle inmitten auf der Bühne, da steht er, einsam und dennoch erhaben: der Flügel des Ausnahme-Musikers, der mit seinem Album „Elton John“ im Jahre 1970 seinen internationalen Durchbruch erlebte. Während also noch viele der Zuschauer am Ausschank oder Merchandise-Stand ausharren, verdunkelt sich der vordere Teil der Bühne, das Intro von „Good Morning To The Night“ dröhnt aus den Boxen und eine kleine Person tippelt schüchtern Richtung Flügel. Nur zaghaft applaudieren die 16.000, können sie doch nicht wirklich erkennen, wer das da vorne ist. „Ist das ein Roadie?“, fragt eine Frau ihren Freund. Nein, das ist kein Roadie, das ist Sir Elton John höchstpersönlich. Das Spotlight enttarnt ihn schließlich: Da sitzt John in einem Glitter-Frack, mit rotglasiger Brille in Edelstein-Fassung und singt „Hey kids shake it loose together / The spotlight′s hittin' something that′s been known to change the weather“. Der Jubel der Zuschauer, jetzt ist er grenzenlos.
John spielt wie ein Besessener, wie jemand, der sich hinter der Bühne seines Korsetts entledigt hat. Auf „Bennie and the Jets“ folgt „Philadelphia Freedom“. Kein unnötiges Tamtam. Die ersten beiden Songs, seine unvergleichliche Gestik und Mimik, all das muss als Begrüßung reichen. Und es reicht. Am Ende der Nummer knallt der Popstar die Klappe seines Flügels mit voller Wucht zu. Kurz scheppert es. „Well, Cologne, welcome tonight!“, entschuldigt sich Sir John.
Die Konzertabsage vor ein paar Tagen, sie nagt noch ganz schön an ihm. Das merken die Fans. John beruhigt sich, als er etwas über die Musikerin und den Menschen Aretha Franklin erzählt – „she was an incredible musician and person“ – das Lied „Border Song“ widmet er der US-amerikanischen Soulsängerin. Da sind nur Elton John und sein Flügel. Das ist magisch, so simpel und so schön. So schön klar, weil vielen spätestens bei „Tiny Dancer“ bewusst wird, wie sehr Johns Musik Generationen von Menschen geprägt hat, wie oft man früher das Autoradio bei „Rocket Man“, „Take Me To The Pilot“ oder „Someone Saved My Life Tonight“ auf Anschlag gedreht und „And I think it's gonna be a long, long time“ innigst mitgesungen hat.
Und die lebende Musik-Legende, sie zieht ihr Programm durch. Nach jedem Song steht John kurz auf, verneigt sich vor seinem Publikum und trinkt einen Schluck Wasser. Ein ums andere Mal stützt er sich dabei an seinem Flügel ab. Etwas angeschlagen wirkt John noch, zugegeben. Und dass sein Konzert meilenweit von einer fetten und aufgedunsenen Pop-Show entfernt ist, juckt heute Nacht niemanden. Im Gegenteil, hat man doch das Gefühl, ihm, seiner Band und der Musik so nah zu sein, wie man es nur ganz selten bei Größen wie ihm erlebt. Der tosende Applaus ist ihm nach jeder Nummer sicher, dennoch wirkt dieser vielmehr wie eine Art Dauer-Kniefall vor dem Künstler und seinem Werk, als ein banaler Aufschrei der Begeisterung. Und wenn John bei all dem so dahockt, spielt und singt, schwebt Mutter Musik um ihn und sein Antlitz herum, ja, beherrscht und durchdringt sie ihn in Gänze. Die ersten Takte von „Sorry Seems to Be the Hardest Word“ gehen nicht nur unter die Haut, sie zimmern sich regelrecht in das rohe Fleisch darunter.
Am Ende mutiert das Konzert mit „Burn Down the Mission“ oder „The Bitch Is Back“ zu einer großen Blues Rock- und Boogie-Party. Schließlich wird Elton John mithilfe eines kleinen Lifts in die Leinwand-Sterne hineingezogen und von ihnen verschluckt. Was für ein Musiker. Was für Mythos. Schon jetzt.