Provinz als extrem gute Alternative
Köln (kle) Eng an eng stehen die etwa 5000 meist jungen Zuschauerinnen im Innenraum des Kölner Palladiums, als kurz vor Showbeginn der deutschen Indie-Pop-Band Provinz Bowies „Heroes“ vom Band abgespielt wird. Den Song kennen viele. Natürlich. Die vier Jungs aus dem oberschwäbischen Vogt b. Ravensburg mittlerweile auch. 2020 gewannen sie nämlich die 1 Live Krone als bester Newcomer und 2021 eben die als beste Band. Und weil das so ist, ist Kreisch-Alarm angesagt, als plötzlich Frontmann Vincent Waizenegger so mir nichts dir nichts im Spotlight vor dem roten Vorhang steht und „Du hörst sie schreien, wenn der Vorhang fällt / Hörst du sie schreien?“ singt. Wie gesagt: Schreien hört man sie. Der Vorhang aber, er fällt nicht, er schiebt sich langsam zur Seite. Der Rest der Band erscheint, die familiäre Szenerie ist komplett. Sind doch drei von ihnen – Vincent, Robin und Moritz - Cousins.
Dann läuft es so: Vince bewegt sich gekonnt tänzerisch zu den oftmals geradlinigen Beats seiner Songs, während er – mal mit, mal ohne Gitarre – seine Texte ins Mikro nuschelt. Seine Fans feiern das alles ab. Mit ihren Liedern wie „Großstadt“ oder auch „James Blake“ schaffen es die Beinahe-Ravensburger, ein Gefühl von Zugehörigkeit zu entfachen. Ihre Botschaften sind klar verständlich und nah dran an ihren Zuhörer:innen, verleihen ihnen Identität: „Fick dich, James Blake / Alles, was du schreiben kannst / Fängt mit vermissen an / Was glaubst, du wer du bist?“ Dabei wirken die „Jungs vom Dorf“ schon fast überzogen normal und so gar nicht wie irgendwelche Rockstars. Überdrehter Glitzer und Glamour aus NYC, London oder Berlin: Völlig egal, könnte man meinen. Gute Musik gibt’s auch aus der Provinz.
Die Aussage „Hey. Wir sind drei Mal in Köln: Heute, morgen und übermorgen“ klingt daher gar nicht überheblich, sondern fast ein bisschen so, als könnten die vier aus der Gemeinde Vogt nahe der Schweizer Grenze nicht fassen, welches Schicksal sie seit ein paar Jahren ereilt hat. Die Nummer „Liebe zu dritt“ erzählt die Geschichte eines Pärchens, das den Sommer in ihre Mitte nimmt. Heute Nacht ist es die Liebesgeschichte zwischen Provinz, den Fans und der Musik. Ist doch die so unaufgeregt schön anzuhören. Dass es dem Gesamtpaket Provinz im Sinne höherer musikalischer Dynamik ein wenig an instrumentalem Mut und textlicher Tiefgründigkeit fehlt: Sei es drum. Interessieren wird das Laureen und Silva, zwei Fans aus der ersten Reihe, nicht. Sie sind die beiden Auserwählten, die zum Song „Walzer“ Walzer tanzen dürfen. Hoch oben, auf einer Empore der Bühne. Der Moment ihres Lebens? Wahrscheinlich nicht. Aber trotzdem ein verdammt guter.
Provinz schaffen es, ihre Fans hüpfend und singend zu den Toiletten laufen zu lassen. Pärchen stehen am Rande der Halle und kuscheln sich aneinander. Pures positives Lebensgefühl nennt man das. Und wenn das Publikum „Und der letzte Schluck ist warm und schmeckt bitter / Ah, der letzte Zug brennt so wie immer“ melancholisch zum Besten gibt und Vince nichts mehr machen muss, nennt man das den emotionalsten Moment des gesamten Abends, oder: Der Gänsehaut Kern ist der Schlager. Zumindest im Ansatz.
Fazit: Provinz sind eine gute Alternative für alle, denen Kraftklub zu hart, Tokio Hotel zu viel Hollywood oder Silbermond zu schnulzig sind.