Platten Juli ‘23
Brass Riot
The Never Acting Story
(Fun In The Church / Bertus)
Bereits erschienen
Jazz, Dance. Man nehme ein Alt- und ein Baritonsaxophon, dazu ein paar kecke Drums, und fertig ist das Trio Brass Riot aus Berlin. Klingt einfach, weil es das für die gebürtigen Lüneburger Constantin, Carl und Simon, die sich in ihrer Schulzeit zusammengetan haben, um ein bisschen zu jammen, höchstwahrscheinlich auch ist. Retrospektiv, versteht sich. Komplexer wird das Projekt der wutentbrannten Blechbläser, schaut man sich an, was sie seit 2018 mit ihrer Musik alles so gezündelt und wen sie mit ihr angesteckt haben. Ganz weit vorne in dieser Liste stehen die Fridays-For-Future-Proteste, zu deren inoffiziellem musikalischem Sprachrohr sich die drei Wahlberliner entwickelt zu haben scheinen. Und nicht nur Zyniker würden behaupten, fünf vor zwölf war gestern oder scheiß auf „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott bla bla bla…“. Auch Brass Riot verzichten auf ihrem zweiten Album „The Never Acting Story“ mal wieder konsequent auf jegliches Wort. Ihre Sprache sind die temporeichen und dynamik-durchtränkten Blow-Beats: mal ein bisschen groovy, mal ein bisschen punky, mal ein bisschen Ska, mal ein bisschen Dance. Aber immer mit Power, die einen über die Abbruchkante der Wut hinweg hineinzieht in den Schlot unbedingter Bewegung. Und das von Beginn an mit der Nummer „Wake Up, WTF!“ bis zum Ende mit „What About“. Ob das dann bitter wird: Mal schauen. Wir haben es selbst in der Hand. Selten jedoch hat man dem Klimawandel-GAU besser entgegengetanzt als mit Brass Riot.
- Jörg Klemenz
Die Regierung
Nur
(Staatsakt Records)
Erscheint am 25.8.
Indie. „Heute Nacht hab‘ ich geträumt, ich sitz im Knast“. Wer kennt so ein (ähnlich) beklemmendes Gefühl kurz nach dem Aufwachen nicht, mag man meinen. Musik jedenfalls läuft nach solch einem Albtraum meistens nicht. Doof. Das dachten sich auch die fünf Jungs von Die Regierung. Wahrscheinlich. Deshalb haben sich die alten Hamburger Schule-Hasen auf ihrem neuen Album „Nur“ mit der ersten Nummer „Nichts ist wirklich“ im Stile des überzerrten Drei-Töne-Riffs und eines „Irgendwie-ist-alles-scheißegal“-Stimmchen von Liedermacher Tillmann Rossmy rotzfrech ein Herz gefasst und einen astreinen After-Albtraum-Song geschrieben. Vielleicht. Und wem dieser partyverdächtige Hit nach so einem düsteren Träumchen noch nicht genug ist, um wohlgelaunt aus der Kiste zu steigen, kann gerne noch etwas liegen bleiben und sich Titel wie „Die Liebe, die niemals kommt“, „Nirgendwo Hinzugehen“ oder aber auch „Kein Grund glücklich zu sein“ reinziehen. Bei all dem klingt Rossmy wie ein imaginärer Lindenberg, dem niemand jemals zuhören wollte und der nun am Ende seiner Tage in Gronau versauert. Und wer danach noch immer nicht in eine mittelschwere Depression verfallen ist, weiß: Der neue Tag kann kommen. Auf geht’s! Das lyrische Ich in „Licht“ jedoch bleibt plötzlich so mir nichts, dir nichts auf einer Straße stehen. Mitten in Duisburg. Es hat keinen Grund mehr weiterzugehen. „Alles, was bleibt, ist Licht“, singt Rossmy dann noch. Alles, was bleibt, ist ‘ne geile Platte.
- Jörg Klemenz