Placebo peitschen ihre Songs bis zum bitteren Ende durch
Köln (kle) Vorstellen muss man sich das in etwa so: Eine bestimmte elektronische Tonabfolge ertönt. Die hört sich wie eine Mischung aus Kirchen- und Kuhglocken-Gebimmel an. Währenddessen betritt die Begleit-Band den hinteren Teil der Bühne in der Lanxess-Arena, der vom vorderen durch einen transparenten Vorhang abgetrennt ist. Ein paar Sekunden später rollt der sich ein Stück weit nach oben: Brian Molko und Stefan Olsdal von Placebo kommen entspannt nach vorn, drehen ihre Gitarren auf und legen los: „Forever Chemicals“, auch der erste Song auf ihrem neuesten Album „Never Let Me Go“, grätscht mit voller Wucht hinein in das Gebimmel. Was für ein Sound, was für eine direkte Präsenz der beiden, und: was für eine Stimme. Klirrend warm und depressiv klingt Molko. Wie eigentlich immer. Live erlebt haben muss man die mal.
Der Vorhang, das muss man wissen, entpuppt sich als Leinwand Deluxe. Das geniale aus technischer Sicht daran: Sie besteht aus insgesamt fünf gleichgroßen Elementen, die immer wieder - unabhängig voneinander - ihre Positionen verändern können. Das verleiht den Songs während der gesamten Show eine gewisse visuelle Dynamik. Und das ist auch nötig, denn: Gut nach vorne gehen die ersten Nummern der Wahl-Londoner zwar - „Darling, happy birthday / In the sky, in the sky“ singt Molko bei „Happy Birthday in the Sky“, Bass und Schlagzeug drücken vehement, Olsdal begrüßt das Publikum mit den Worten „Guten Abend Köln“ - jedoch: Dem Auftritt fehlt es an musikalischer Dynamik. Die Songauswahl der ersten zwanzig Minuten ist zu wenig abwechslungsreich.
Dennoch: Die rund 12.000 Fans feiern die beiden Superstars der Indie-Rock-Szene ab. Und die spielen. Peitschen ihre Lieder nach vorne. Wagen es nicht zu pausieren. Molko und Olsdal wirken wie Getriebene, die ihren Zuschauern etwas bieten wollen. Bestimmt ist das gut gemeint, aber auch gut gehetzt. Erst der groovige Anfang von „Surrounded by Spies“ nimmt dem Tempo der Show ein wenig ihre Schnelligkeit. Überhaupt ist das eine starke Nummer. „I am surrounded by spies“ brüllt Molko fast bis zur Bewusstlosigkeit ins Mikro. Seine Botschaften sind oft eindringlich und gesellschaftskritisch, sie erzeugen betrübte Bilder im Kopf, in denen man sich suhlen möchte, seine Stimme bohrt sich wie eine gutmütige heiße Nadel ins Ohr.
Eine richtige Verschnaufpause gibt es, als ein weißer Flügel auf die Bühne geschoben wird. Olsdal beherrscht auch dieses Instrument aus dem Effeff, „Too Many Friends“ ist ein eher ungewöhnlicher Song für Placebo, kommt er doch wie ein Rockballade daher. Molkos Kernaussage in diesem Lied allerdings ist alles andere als romantisch, kritisiert er in ihm doch die Anonymität des Internets: „Too many people that I'll never meet“. Das Konzert endet nicht wie vermutet mit „The Bitter End“, sondern ohne großes Spektakel. Das passt zu den beiden Freunden, die sich durch Zufall 1994 zum ersten Mal in London begegnet sind und seitdem zusammen Musik machen. Nach der Cover-Version von „Running Up That Hill (A Deal With God)“ von Kate Bush verlässt Molko rasch die Bühne, Olsdal springt in den Bühnengraben und schüttelt seinen Fans die Hände.