Alice Merton – „Ich kam wochenlang nicht aus dem Bett“
Düsseldorf (kle) Als schnörkellos kann man den Konzertauftakt der Band um Alice Merton in der Tonhalle bezeichnen: eine kurze Synthi-Melodie, dazu ein paar amtliche Drums, und da kommt auch schon die junge Sängerin, die vor allem mit den Hits „Why So Serious“ und „No Roots“ deutschlandweite Bekanntheit erlangt hat, auf die Bühne gelaufen. Kraftvoll, sportiv und vor allem hoch-fokussiert wirkt Alice Merton in ihrem Camouflage-Kleid und ihren Laufschuhen: Sie ist bereit für den heutigen Abend. Das ist ihre Botschaft. Ihre Fans merken das. Sofort. Die ersten Reihen strecken ihr die Arme entgegen.
Eine Meisterin der Ansagen zwischen den Songs ist Merton allerdings nicht. Das jedenfalls kann man denken. Die ersten Rockpop-Nummern „Vertigo“, „Island“ und „Future“ sind eine Art Dehnen und Stretchen für die Band und für die gebürtige Frankfurterin. Vor allem letztgenannter Song überzeugt musikalisch im Lichtblitz-Gewitter: tolles Arrangement, tolle Schlagzeug-Fills, geiler Refrain. „I thought that you and me were the future“ singt Merton in dem. Mitnicken ist zu diesem Zeitpunkt keine Option. Es ist ein Zwang. „Future“: vielleicht ihr nächster Hit.
Merton öffnet sich jetzt. Es scheint, als habe sie nun endlich Vertrauen zum Publikum. Dass sie sich heute Abend freue hier sein zu dürfen, sagt sie. Und dass der nächste Song etwas über einen guten Freund erzähle, der im Anschluss an die Schule nicht direkt angefangen hätte zu studieren und zu arbeiten. Die Welt bereist, den Alltag hinter sich gelassen habe er. Das Lied „100 Stories“, das sei ihm gewidmet, fügt Merton noch hinzu und beginnt dann leise zu singen „You took a year to see the world / And came back to a different kinda life“. Schöne Geschichte.
Die Zuschauer hören ihr gerne zu, wenn sie diese Geschichten frei heraus erzählt. Das ist so ehrlich. So intim. So mutig. Merton ist ein Popstar zum Anfassen. Und erinnert sie zu Beginn des Stückes „Jealousy“ in ihrer Intonation auch sehr an Amy Mcdonald, so drückt die Kosmopolitin Merton dieser bewegenden Nummer ganz zweifellos ihren eigenen Stempel auf. Vor allem bei „Blindside“ wird es emotional, denn Merton gibt unverhohlen zu: „Ich kam wochenlang nicht aus dem Bett.“ Gerade dieser Song läge ihr am Herzen, thematisiert er doch `toxische Beziehungen`. Völlig verrückt seien die zwischenmenschlichen Abhängigkeiten, in die man sich im Verlaufe seines Lebens begebe. Absolute Ruhe. Das Publikum hält die Luft an. „Life is too short to spend it with people who bring you down!“, ruft Merton den etwa 400 Zuschauern zu, bevor sie dann singt „I sat down with a gun to my head“. Der Saal muss schlucken.
In eine tiefe Depression allerdings verfällt er nicht. Dafür sind die restlichen Lieder einfach viel zu tanzbar. Und als dann schließlich am Ende des Konzertes die bekannte Bass-Line von „No Roots“ ertönt, gibt es in Sachen verschnörkelter Tanzbewegungen keine Tabus mehr. Ein schöner Abend war’s, Frau Merton.