Nickelback: Warum es beim Konzert in der Arena Fremdschämmomente gab
Köln (kle) „Weißt du eigentlich, dass ein Konzertticket für Taylor Swift über 400€ kostet?“, brüllt eine Tochter ihrem Vater ins Ohr. Der schreit zurück „Für wen?“, und singt lieber mit den restlichen der rund 13.000 Besuchern in der Lanxess-Arena den 80er-Jahre-Hit „Don’t Stop Believin‘“ von Journey mit, der aus den Lautsprechern ertönt. Taylor Swift also ist für die meisten an diesem Abend ganz schön weit weg. Denn sie warten auf ihre Idole Chad und Mike Kroeger sowie Ryan Peake und Daniel Adair von der kanadischen Rockband Nickelback. Ja, die vier Jungs aus Alberta, die 2001 mit der Single „How You Remind Me“ international durch die Decke gingen, gibt es noch. Samt neuer Platte und Welttour namens „Get Rollin‘“.
Los geht’s. Mit verdunkelter Bühne, dem Heavy Metal-Song „Walk“ von Pantera aus den Boxen und einer Menge Headbanging im proppenvollen Innenraum der Halle. Bevor schließlich auf der Leinwand eine comichaft wilde Verfolgungsjagd zwischen Polizei-Armada und dem vermeintlichen Band-Van von Nickelback zu bestaunen ist. Es kommt, wie es kommen muss: Der Van bricht durch die Leitplanken hindurch auf die Gegenfahrbahn: General-Richtung „Köln“, na klar. Und da stehen sie, „ausgespuckt“ aus dem virtuellen gelben GMC Vandura auf die Bühne der Arena: Nickelback. „San Quentin“ vom aktuellen Album der Kanadier schnürt einem regelrecht den Kehlkopf ab. Die Bassdrum boxt gegen den Solarplexus. Bei „Far Away“ halten sich einige der Zuschauer kurzzeitig die Hände vor ihre Brust. Die Romantik dieses Liebesliedes verpufft im Geknalle des übergriffigen Basses.
Kroeger sagt nach diesem fulminanten Beginn der Show sowas wie „Sehr nett wieder in Köln zu sein“ und „Ich kann all die Ladies des heutigen Abends gar nicht hören, wo sind alle Ladies?“ Viele der Endvierziger in Lederkluft à la Doro Pesch kreischen, was das Zeug hält, ein weiblicher Fan hält ein Papp-Plakat mit der Aufschrift „I made an outfit based like a rockstar“ (Ich habe ein Outfit gemacht, das wie ein Rockstar aussieht) Richtung Bühne. Die Kroeger-Brüder allerdings spulen professionell ihr Programm ab, die musikalische Geradlinigkeit ihrer Songs gleicht dem Terrain der Kölner Bucht: flach, so weit das Auge…pardon, das Ohr reicht. Texte wie „Hey, yeah, yeah, hey, yeah / A hand in hand forever“ zusammen mit Leinwand-Einspielern aus Kriegs- und Katastrophen-Gebieten locken einen nicht gerade hinter dem Ofen hervor. Das alles wirkt wie eine Ranch irgendwo in North Dakota: Hübsch anzusehen. Aber fernab jedweder Realität. Die Welt ist komplizierter (geworden).
Eins jedoch muss man den vier Hardrockern, die mittlerweile schon fast 30 Jahre Bandgeschichte auf dem Buckel haben, lassen: Irgendwo in den Weiten Südwest-Kanadas haben sie den Zaubertopf mit der Aufschrift „Formel für diese eine Melodie, die man für den Rest des Tages wie blöde pfeift und/oder summt“ gefunden. „Someday“ ist so ein Ohrwurm, oder „Photograph“, oder: „Rockstar“. Diese Hit-Single aus dem Jahr 2005 – einige Fachmagazine behaupteten einst sogar, sie sei eine perfekte Erklärung dafür, Nickelback zu hassen – zelebriert die Band heute Nacht. Und zwar ausgiebig zusammen mit den beiden „Ladies“ Jenni und Danni. Die nämlich dürfen die Nummer mit Chad und Co. oben auf der Bühne mitgrölen. „Every Playboy Bunny with her bleached blond hair and, well / Hey, hey, I wanna be a rockstar“. Feministische Debatten der letzten Monate im Rahmen des Musikbusiness: Die scheint es nie gegeben zu haben, könnte man meinen. Ein Gruselmoment. Ein Fremdscham-Moment. Und am Ende der Show, bei „How You Remind Me“, fragt man sich tatsächlich, was vom heutigen Abend übrigbleibt: Viele rockige Radiohits in Cowboy-Manier. Das ist ok. Und: Viel zu viel „Ladies“. Das ist..., naja.
Erschienen in der Kölnischen Rundschau