Helene Fischer bekommt niemals genug

Dortmund (kle) Etwa eine halbe Stunde vor Beginn der Show lange Schlangen vor den Damentoiletten, Gewusel und Gedränge auf den Gängen, wohin man schaut. Fast könnte man ein bisschen Platzangst bekommen in den Katakomben der Westfalenhalle. Ein paar aber kennen sich aus. „Komm Schatz, damals bei Depeche Mode gab’s da oben noch eine Snackbar!“, ruft eine Mutter ihrer Tochter zu. Die trägt einen leuchtenden Rosenzweig in ihren Haaren. „Personal Jesus“ jedenfalls wird heute Abend in der restlos ausverkauften Halle nicht gespielt, so viel steht fest. Dafür Lieder wie „Ich will immer wieder…dieses Fieber spür‘n“ oder „Atemlos durch die Nacht“. Denn Schlager-Ikone Helene Fischer lud ein unter dem Motto „LIVE 2023“. Auf der Eintrittskarte steht „phänomenale Show in Kooperation mit dem Cirque du Soleil“. Die Aufregung in der Arena zumindest ist enorm.

Der überdimensionierte Rubin, der über der Bühne hängt, sticht ins Auge. „Da wird sie sicher gleich herausspringen“, meint irgendein Schlaumeier zu seiner Frau. Blöd nur, dass der recht behalten sollte. Erst erklingen ein paar wummernde Schlagzeug-Fills, dazu ein dröhnender Herzschlag – Badom, badom, badom – Helenes Stimme ist zu hören, die da singt „In nur einem Moment kann sich alles dreh'n / Wir hab'n uns schon so lang nach diesem Tag gesehnt“. Schließlich rutscht die seidene Rubinhülle von ihrem Gestänge: Ein bisschen wie Madonna, nur eben mit deutschen Schlagerbeats im Gepäck, steht Frau Fischer da oben in ihrem hautengen Body auf einer kleinen Plattform und sinkt ganz langsam herab auf irdischen Boden. Die Fans jubeln ihrem Idol zu. Ohrenbetäubend ist das.

„Hallo ihr Lieben, ich habe die Bühne so sehr vermisst!“. Helene sagt das und, na klar, man kann gar nicht anders, als ihr das bei dieser fulminanten Selbstinszenierung abzunehmen. Ihre Tänzerinnen und Tänzer geben alles, sie sind synchron aufeinander abgestimmt und energetisch von Minute eins an: immer wieder ein echtes Highlight während des gesamten Konzerts. Nur passen Fischers musikalische Arrangements und Textinhalte oftmals nicht zur überaus professionell-tänzerischen Dramatik. Den etwa zehntausend Zuschauern scheint das Schnuppe zu sein. Sie geben Gas und singen „Lasst uns versprechen / Auf Biegen und Brechen / Wir feiern die Schwächen! / Wer ist schon fehlerfrei?“. Von Schwächen im Fischer-Team allerdings kann nicht die Rede sein, drehen sich die durchtrainierten Akrobaten zu den Nummern mal mit Trapezen, mal mit Bändern, mal mit Ringen ein ums andere Mal schwindelerregend um ihre eigenen Achsen. Das ist wirklich etwas viel Wind und wirklich etwas viel Perfektionismus um ein Schlagerlied, könnte man meinen. Erst bei „Volle Kraft voraus“ macht die permanente Bühnen-Hektik eine Pause. Nur die Perfektion, die bleibt. Steht Fischer dabei doch wie fest angewurzelt an einer Stelle und versinkt förmlich in dem rot-wehenden Stoff eines Kleides. Das ist too much Celine Dion, too much Eurovision Song Contest.

Rot hier, rot da. Der Farbe Rot, so langsam wird man ihr überdrüssig. Und weil Helene Fischer das weiß, wechseln ihre Tänzer, die Stoffe und sie selbst zu Weißgold. Erfrischend ist das fürs Auge. Wobei sich die Zehntausend bei „Wunden“ nicht wirklich sicher sind, ob sie besser hinschauen oder wegschauen sollen. Helene nämlich lässt sich bei der Nummer von einem Akrobaten willenlos durch die Luft wirbeln. „Ahh“ oder „Uhh“ schallt es von den Rängen. Erstaunlich: Bei all den körperlichen Ausnahmezuständen, bei all den ständigen Auf und Abs singt Fischer, als stünde sie unter der Dusche. Apropos: Bei „Never Enough“ steht sie allein im Regen, Wasser-Fontänen in unterschiedlichen Formen schütten über sie hinweg. Ach, bei all dem Wasserwerk singt sie noch immer. Natürlich. Was sie allerdings singt: völlig egal. „Never enough passt ja auch zu mir!“, fällt ihr nach der Nummer spontan noch ein. Der Song ertrinkt im Wasser. Fischer selbst bleibt trocken. Dann ist Pause. Eine halbe Stunde lang.

Der Rest ist schnell erzählt. Auf der Second Stage gibt Helene zusammen mit ihrer Band Lieder wie „Hundert Prozent“, „Mitten im Paradies“ oder „Die Hölle morgen früh“ in abgespeckter Medley-Form zum Besten. Und obwohl diese kleine Bühne inmitten der Fans steht: So eine wirklich authentische Nähe zwischen Fischer und ihren Fans entwickelt sich dadurch nicht. Dafür wirkt das alles einfach zu konstruiert. Zu sehr gewollt. Zu sehr Rosamunde Pilcher. Allein bei „Regenbogenfarben“ schafft sie es temporär, dieses Konstrukt mal zu verlassen. Das „Never enough“-Getue jedenfalls liegt irgendwo weit weg auf der Hauptbühne. Das tut gut. Ob es allerdings ihrer Wirbelsäule guttut, wenn sie während „Atemlos durch die Nacht“ mithilfe eines Roboter-Arms, auf dem sie festgebunden ist, von rechts nach links und von unten nach oben geschwenkt wird, sei dahingestellt. Ein eher befremdlicher Anblick ist das. Am Ende schließlich verwandelt sich die Westfalenhalle in ein Tanz- und Trapez-Wirrwarr, Helene singt mit letzter Kraft „Sag mal, spürst du das auch?“. Ganz ehrlich: schwer zu sagen irgendwie.  


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