Gisbert zu Knyphausen: Ein allzu menschlicher Liedermacher

Köln (kle) Als Gisbert zu Knyphausen, deutschsprachiger Liedermacher, Sänger und Gitarrist, zur Primetime um viertel nach acht die Bühne des Gloria betritt, sind die meisten der rund 900 Konzertbesucher froh darüber, es pünktlich in den Saal geschafft zu haben, denn: Standen sie doch noch eine Stunde zuvor geduldig in einer langen Schlange von den St. Aposteln bis zum Eingang der Veranstaltungsstätte. Nachzügler bekommen allerdings nicht mehr mit, wie der, den die Magazine und Rezensenten in der Vergangenheit in einem Atemzug mit Rio Reiser oder Sven Regener genannt haben und den der Spiegel einst nicht als einen Liedermacher, sondern gar als „ein Gigant“ betitelte, seine in großen Teilen akademisch anmutende Mittvierziger-Fangemeinde mit den Worten „Ich freue mich auf das Konzert. Und ich bin unglaublich nervös“ begrüßt, bevor er schließlich mit dem Lied „Kräne“ beginnt und Gesprächsfetzen wie „Das erste Mal habe ich ihn live im Blue Shell vor etlichen Jahren erlebt…“ oder „Meine Oberstufenschüler haben mir für heute Abend viel Spaß auf dem Konzert gewünscht“ von seinem ersten Vers „Diese Tage sind so fern von allem“ verschluckt werden.

Knyphausens Ruf – z.B. er klinge nach Astra-Bier, Bartvernachlässigung und selbstgedrehten Zigaretten, wohlgemerkt ohne künstliche Aromastoffe, -  eilt ihm nicht nur voraus. Nein, dieser hat mittlerweile sogar eine Extrarunde gedreht, sich selbst überholt und steht nun leibhaftig und wahrhaftig im Rampenlicht vor einem. Wie ein zartes Zimmerpflänzchen, das gegossen werden will, steht er da - an ihm klebt seine Gitarre – und singt von endlosen Suchen, von der Geburt und: vom Leben und vom Sterben. Ganz oft. Eigentlich ständig. Vermutlich, weil diese Art der Melancholie mit Antrieb schon immer aus dem gebürtigen Wiesbadener herausgequollen ist und er irgendwann erkannt hat, dass es eine Gabe ist, Menschen mit eigenen Texten berühren zu können. Seine Lieder jedenfalls verbinden sich so selbstverständlich mit seinen Fans wie Honig sich in heißer Milch auflöst. Smartphone-Fehlalarm, brutale Stille inmitten so lauter Zeiten. Knyphaussche Auszeit. Die Neunhundert wirken, als hätten sie eine geheime Absprache in Sachen Atem-Anhalten getroffen, wenn der Meister ihnen mit seinen teils kryptisch, teil konkreten Text-Kunstwerken namens „Dreh dich nicht um“, „Wind in Antennen“ oder „Sommertag“ im Mundharmonika-Stil à la Dylan von deren Figuren und sich selbst erzählt. Pardon. Singt. Zuerst wird dabei jedes einzelne Luft-Atom von seiner Stimme sanft umarmt; dann fliegt sie dem Publikum ein paar Sekunden später kraftvoll um die Ohren.

Und weil bald Weihnachten ist, hier ein schönes Ende: „Dich zu lieben ist ganz einfach / So wie das Kommen und Gehen der Wellen am Strand.“ Ein Liebeslied. Ein wunderschönes. Von einem Mensch. Für einen Mensch. Giganten machen so etwas nicht.


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