Cigarettes After Sex: Ein Konzert wie ein langer, intensiver Kuss

Köln (kle) Ungewöhnlich lang ist die Schlange vor dem Merchandise-Stand heute Abend. Vielleicht 50 oder 60 Meter. Die meist schwarz gekleideten und dunkel geschminkten weiblichen Fans der US-amerikanischen Indie-Rock-Band Cigarettes After Sex, die gestern Abend vor einem restlos ausverkauften Haus in der Kölner Lanxess-Arena im Rahmen ihrer „X’s World“-Tour ihr einziges NRW-Konzert gab, stehen eine halbe Stunde vor Showbeginn gesittet und seelenruhig an, um ein T-Shirt der drei Texaner für rund 65 Euro zu ergattern. Auf einem kleinen Schildchen vor einer kleinen Box mit Einwurfschlitz steht: „You mean the world to us and we would absolutely love to hear from you“ (Du bedeutest uns die Welt und wir würden uns sehr freuen, von Dir zu hören). Ein Fan wirft einen kleinen Zettel hinein. Erinnerungen an die kurze, aber heftige Emo-Punk-Welle Mitte der 2010er-Jahre mit Bands wie My Chemical Romance werden wachgerüttelt.

Das Konzert beginnt. Mit den bekannten Streichern von „Le Mépris“ aus den Lautsprechern. Sodann steht er plötzlich da, inmitten der Bühne, seine Gitarre umgehangen: Greg Gonzalez, musikalisches Superhirn der drei Wahl-New Yorker singt in seiner unnachahmlich androgynen Stimme „Do it with the lips that you kept when I finally kissed you“ (Mach es mit den Lippen, die du behalten hast, als ich dich endlich geküsst habe). Seine beiden Freunde Jacob Tomsky (dr) und Randy Miller (bas) rechts und links neben ihm geben Gonzales und dem Song „X’s“ mit ihrem sanft-treibenden Spiel den nötigen Rahmen. Das eiskalt-weiße LED-Licht, das aus dem Bühnenboden strahlt und mit dem Rauch der Nebelmaschine zu verschmelzen scheint, bildet eine Art transparent-schimmernden Vorhang. Das Ganze mutet stark sakral an. Die Cigarettes After Sex-Gemeinde ist nun versammelt. Irgendwann zwischen zwei Liedern schmiert Gonzales dem Publikum so dumpf-lasziv den Satz „Thank you all so much“ um die Ohren, dass man sich abwechselnd fragt: „Spricht er wirklich so?“ und „Bekomme ich etwa gerade ein Gehörgang-Orgasmus?“

Die Fangemeinde der rund 16.000 scheint während des Konzertes einem exakten Verhaltens-Kodex zu folgen, der sich wie unsichtbare Materie durch die Halle erstreckt und für Laien nur schwer zu greifen ist. Die Lautstärke und Länge des Applauses beispielsweise wirkt stark reglementiert, sodass die drei Musiker in ihrem Spielfluss nicht gestört werden. Oder: Smartphone-Lichtermeere entstehen – einem Schwarm-Verhalten ähnlich – von ganz alleine. Beinahe ist es so, als sei es gar nicht die Band selbst, die den direkten Takt angibt, sondern als seien es deren Fans, die die Musik aufsaugen, um sich einen ganz eigenen Kosmos zu schaffen.

Und die Musik? Mit ihr verhält es sich wie mit einem Liebespaar, das sich auf offener Straße weltvergessen küsst. Der vorbeifahrende Passant wagt einen verstohlenen Blick auf die beiden. Vielleicht. Den beiden Küssenden ist das egal. Sie nämlich - Musik und Fans – versinken während des Konzerts, bildlich betrachtet, eng umschlungen und liebestrunken ineinander. Liebeslieder in melancholischer Dauerschleif-Monotonie: Gonzales haucht seine immer gleichbleibenden Melodien ins Mikro, als wolle er mit ihnen die Köpfe der Sechzehntausend in Zeitlupe streicheln. Und Schlagzeuger Tomsky, der gewinnt den Preis für seine beharrliche Negativ-Tempo-Ausdauer.

Nach 90 Minuten geht eine der sonderbarsten, aber auch liebevollsten Band-Fan-Symbiosen der letzten Jahre in Köln zu Ende.


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