„Worte, Yeah!“: Die Hamburger Schule zu Gast in Düsseldorf
Düsseldorf (kle) Am Freitag stand der vorletzte Abend des Lieblingsplatte-Festivals im Düsseldorfer Zakk ganz im Zeichen der sogenannten „Hamburger Schule“. Und der war zweigeteilt: sozusagen in Theorie und Praxis. Denn: Zuerst sprachen im Rahmen einer Podiumsdiskussion der stellvertretende Ressortleiter Kultur bei der Rheinischen Post – Philipp Holstein – und der deutsche Autor und Verleger Jonas Engelmann über dessen neuestes Werk „Der Text ist meine Party“. Kurz danach gab die Hamburger Band Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs (OZSWMK) vor etwa 200 Zuschauern im Club des Kulturzentrums ihr 1996 erschienenes Album „Leichte Teile, Kleiner Rock“ live zum Besten.
Doch zunächst zurück zur Theorie, zur Podiumsdiskussion. Vorstellen muss man sich das in etwa so: Da sitzen zwei musik-versierte und – begeisterte Personen – Holstein und Engelmann - in der Kneipe des Zakk hinter einem mit einem schwarzen Tuch umhüllten Tisch – auf ihm steht ein kleines Mischpult – und sprechen, nein, philosophieren über Engelmanns Buch „Der Text ist meine Party“. Nun sollte man wissen, dass es in diesem im Allgemeinen um die intensive Betrachtung der Musikszene namens „Hamburger Schule“ geht, die sich ab etwa Mitte der 1980er-Jahre „an den Tresen, in den Übungsräumen und Konzertsälen der Hansestadt entwickelte“ und Bands wie Blumfeld, Die Sterne oder Tocotronic überregional bekannt machte. Einer der kürzesten Exkurse zum Begriff der Hamburger Schule könnte folgender sein und stammt vom Autor Till Huber: Die Hamburger Schule-Bands „machen nicht nur einfach Popmusik, sondern sie bringen deutschsprachige Texte hervor, die alles um sie herum mitreflektieren“.
Und daher reden Holstein und Engelmann in der knappen Stunde eben oft über die tiefgreifenden Vernetzungen zwischen Text und Musik, über Kristof Schreufs „Stümmeldeutsch“, wie Engelmann es nennt, weil der mittlerweile verstorbene Sänger der Band Kolossale Jugend die deutsche Sprache zuerst zerschlagen und sie dann wieder neu zusammengesetzt habe und unter anderem deshalb im Song „Party“ den Vers „Der Text ist meine Party“ singt. Sie plaudern aber auch über den „Möglichkeitsraum“ Hamburg der Achtziger, über die damalige gesellschaftspolitische und subkulturelle Gemengelage, die am Ende wahrscheinlich Nährboden gewesen ist für die Entstehung eines „popkulturellen Randphänomens, das in seinem Einfluss kaum zu überschätzen ist“, schreibt der Focus. Am Ende der Diskussion bringt Holstein, durch seine provokant-steile These an Engelmann adressiert – könne das wohl poppigste Blumfeld-Album „Old Nobody“ verantwortlich dafür sein, dass es auch Musiker wie Max Giesinger gibt? -, die etwa 50 Musikinteressierten in der Kneipe zum Lachen.
Zum Lachen bringen kann Carsten Hellberg, Frontmann der „Krebse“, wie OZSWMK liebevoll in Berlin genannt werden, den mit Mittfünfzigern bis an die Decke gefüllten Zakk-Club auch, wenn er zur Begrüßung sowas sagt wie „Ich war auf der Yoko Ono-Ausstellung und habe mir Gerhard Richter angeschaut. Da habt ihr was, was wir in Hamburg so nicht haben“, um gleich darauf mit dem von ihm so titulierten „Rederock“ weiterzumachen. Was dann folgt: die für die Hamburger Schule-Bands so typischen Gitarrenriffs – Garagenband-Geschrammel vermischt sich mit tiefgründig-seichten Soundschleifen -, die weite und offene Räume für eben jenes Stümmeldeutsch schaffen: „Ängste hier, Komplexe da: Problem Problem / Fall in die Arme, hau ab, tut mir Leid, lass uns mal und so geht das nicht“. Ihre Melodien tragen zugleich einen gewissen Ernst in sich. Ein bisschen ist es so, als saugten sie die diskursiven Texte in sich auf, um sich schließlich an Gitarre, Bass und Gesang aktivistisch festzukleben. Und schließt man bei der Nummer „Drei“ die Augen, dann kann man sich vielleicht sogar die kleinen, verrauchten Clubs auf St. Pauli vorstellen, in denen die Anhänger der „Hamburger Schule“ zusammen mit ihren Bands auf die einschippernden Containerschiffe aus Übersee pfiffen. Plötzlich ruft ein Fan von hinten Richtung Bühne „Worte, Yeah!“. Besser kann man den Abend nicht zusammenfassen.
Info
Der deutsche Autor und Verleger Jonas Engelmann spricht im Rahmen des Lieblingsplatte-Festivals über sein neuestes Werk „Der Text ist meine Party“. Das Buch beleuchtet die Vielfältigkeit der Musikszene Hamburgs der letzten Jahrzehnte und geht vor allem der Musikbewegung „Hamburger Schule“, die Ende der 1980er-Jahre entstand, auf den Grund. Hierfür wurden zahlreiche Musiker:innen auf ihrem Weg aus der Provinz nach Hamburg begleitet.
Die deutsche Band Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs gelten als Vorläufer der „Hamburger Schule“. Das Musikvideo zu ihrem Song „Blues“ wurde mehrfach auf MTV ausgestrahlt. Der kommerzielle Erfolg allerdings blieb aus. 1996 erschien ihr deutschsprachiges Album „Leichte Teile, Kleiner Rock“. Kurz darauf löste sich die Band auf. Erst 2023 folgte die Reunion mitsamt einer Tour. Der Name der Band bezieht sich auf eine Schlagzeile der Bildzeitung aus dem Jahr 1952.