Die Böhsen Onkelz ertrinken in Fan-Gesängen und in ihren Widersprüchen

Köln (kle) Der Vorplatz gleicht einem Scherbenhaufen. Zerborstene Bierflaschen säumen den Weg hinein in die fast ausverkaufte Lanxess-Arena. Dazu immer wieder tiefklingendes Gegröle, das einem den Schauer über den Rücken laufen lässt. Drinnen schafft es ein junger Mann nicht mehr rechtzeitig auf die Toilette. Er übergibt sich mitten auf dem Gang. Eine Reinigungskraft wischt das dann sichtlich genervt weg. Die Böhsen Onkelz spielen heute Abend das letzte Konzert ihrer aktuellen Tour. Und ihre Fans feiern das.

Ein paar Minuten später dann fliegen gefüllte Plastikbecher wild durch den Innenraum, es wird gepogt, was das Zeug hält. Denn: Plötzlich steht Sänger Kevin Russel zusammen mit seinen Band-Kumpanen im grellen Scheinwerfer-Licht der Bühne und rotzt „Hier sind neue fromme Lieder / Von den Engeln in Zivil“ ins Mikro. Die Arena gleicht einem Tollhaus. Die Luft riecht nach Feuchte, nach Rauch und Bier. Weiter geht es mit „So sind wir“, die Onkelz gönnen ihren Fans noch keine Verschnaufpause. Von oben betrachtet wirkt der Pogo verstörend brutal. „Lasst uns die Halle abreißen!“, schreit Stephan Weidner den 16.000 zu. „Onkelz, Onkelz, Onkelz“ erwidern die im Chor.

Aber: Weidner ist es dann, der in dieser Phase des Konzertes das Tempo und die angestaute Hitzigkeit zumindest etwas zu drosseln weiß. Erläutert er im Vorfeld doch gerne mal den ein oder anderen Song, bevor der dann gespielt wird. „Der nette Mann“ beispielsweise sei in der Vergangenheit viel zu oft falsch verstanden worden, konstatiert er. Inwiefern die Textzeilen „Kleine Kinder hab’ ich gern / Zerstückelt und in Scheiben / Warmes Fleisch, egal von wem / ich will’s mit allen treiben“ falsch verstanden werden können, und weshalb gerade in diesem Moment die Leinwand-Kamera auf zwei Kinder mit Gehörschutz-Schalen draufhält, mag sich nicht jedem erschließen. Die angereisten Fans jedenfalls sind auch während dieser Nummer noch dabei, die Halle abzureißen.

Sowieso geht es in den Liedern der Hessen oft darum, angestauten Frust klar zu benennen, zu verarbeiten und Wut auf irgendetwas oder irgendjemanden zu kanalisieren. Wundern jedenfalls sollte man sich über die Abriss-Mentalität der eigenen Gefolgschaft nicht, wenn man „Du tanzt auf ihren Köpfen, bis das Hirn aus den Augen quillt / Siehst du das Zappeln ihrer fetten Leiber, hast du dein Ziel erreicht“ zum Besten gibt. Die eigene Opfer-Empfindung kriecht hier lautstark unter den Deckmantel des Anders-Seins und Anders-Denkens. Gewalt und ihre Verherrlichung werden zum legitimen Ausdrucksmittel. Und eine Institution wird während der Show immer wieder durch den Dreck gezogen: Die Kirche. Sie sei eine missionierende Organisation, die sich eines Systems der Angst bediene, philosophiert Weidner. Und „Kirche“ sei kein Lied, das sich gegen Gläubige und Spirituelle richte, rechtfertigt er sich. Wieder mal. Jedenfalls sollte stark infrage gestellt werden, ob es tatsächlich ein Anliegen der Band ist, Begriffe wie „Glaube“, „Kirche“, „Gott“ und „Religion“ fein säuberlich auseinanderzuhalten und eine gewisse Sensibilität glaubenden Menschen gegenüber an den Tag zu legen, wenn Russel Sekunden später lauthals „Ich pisse auf den Papst […] / Ich scheiße auf die Kirche […] / Denn wer keine Angst vorm Teufel hat, braucht auch keinen Gott“ den 16.000 wutentbrannt ins Gesicht brüllt. 

Am Ende beim Song „Mexico“ zünden einige wenige Fans sowohl auf den Oberrängen als auch im Innenraum Bengalos, die zum Teil unkontrolliert auf die unteren Ränge fallen. „Das nenne ich mal einen Abriss!“ Mehr fällt Weidner dazu diesmal nicht ein. Schade.  


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