Emotionaler Abend mit Arcade Fire

Köln (kle) Von Anfang ist klar: Das wird nicht einfach für Arcade Fire und Win Butler. Seit etwas mehr als zwei Wochen wird der Frontman der kanadischen Rockband von vier weiblichen Fans des sexuellen Fehlverhaltens beschuldigt. Das Online-Magazin „Pitchfork“ hatte Ende August die Vorwürfe öffentlich gemacht. Ja, die sexuellen Kontakte hätten stattgefunden, ließ er über einen Sprecher erklären, das aber einvernehmlich. Trotzdem: Die Sängerin Feist beendete die gemeinsame Tour mit der Band. Und: Die Stimmung kurz vor Beginn des mit 4000 Besuchern schwach besuchten Konzertes  in der Lanxess-Arena wirkt verhaltener als sonst. Fast so, als hielten die Versammelten kollektiv den Atem an.

Selten beginnt eine Band fünf Minuten vor ihrer angesetzten Spielzeit. Das aber machen die Grammy-Gewinner für das beste Studioalbum aus dem Jahr 2011. Man könnte diesem verfrühten Konzert-Auftakt eine gewisse Aussagekraft bescheinigen: Sie wollen

raus. Es trotz der negativen Schlagzeilen allen zeigen. Besser jetzt als gleich. Und auf einmal steht er da, ausgespuckt aus der Dunkelheit. Im Rampenlicht. Win Butler. Die vorderen Reihen kreischen. Er hält sein Mikro fest an sich gedrückt. Seine halblang-blondierten Haare funkeln. Der Song „Age of Anxiety I“ beginnt. Das ist das Lied, mit dem man ins Weltall fliegen würde. Lasershow hin oder her. „It’s the age of doubt / And I doubt we’ll figure it out“ singt Butler.

Die musikalische Stilistik der Montrealer Band ist beeindruckend: Mal ist es punkig, mal sphärisch, und immer wieder dazwischen gibt es diese tanzbaren Disko-Pop-Nummern. Butler peitscht sich und die Band unermüdlich nach vorne, er steht hart am Bühnenrand, will den Kontakt zu den angereisten Fans. Unbedingt. Man sieht das, man hört das. Man spürt das. Bei „Neighborhood #1“ (Tunnels)“ läuft er kurz nach hinten zu seiner Ehefrau

Régine Chassagne. Sie ist Teil von Arcade Fire und spielt bei diesem Song Schlagzeug. Er flüstert ihr etwas ins Ohr. Erst versteht sie es nicht. Dann lächelt sie. Chassagne unterstützt ihren Mann: Er sei zeitweise an „dunklen Orten“ gewesen, ihm sei es nicht gutgegangen, ließ sie nach Bekanntwerden der Vorwürfe verlauten. Aber sie liebe ihn und wisse, dass er ein guter Mensch sei. 

Und schließlich passiert das, was sich schon von Beginn des Konzertes an bei Butler auf allen Ebenen der Kommunikation angekündigt hat: Zunächst steht er noch etwas verstohlen auf den Absperr-Barrikaden, „Rabbit hole / Plastic soul“ haucht er ins Mikrofon, schließlich überwindet er sich und das Gitter und springt die in Menge. Die meisten machen das richtig, lassen ihn gewähren, tanzen für ein paar Sekunden zusammen mit ihm. Nur ein paar Wenige zücken ihr Handy. Das Schlagzeug hebt die Szenerie durch seinen fluffigen Beat ins schier Surreale hinein.

Einige der Zuschauer auf den Rängen reiben sich noch die Augen, Bässe und Synthesizer lassen die Arena erzittern. Die Bühne ist dunkel. Die Band ist weg. Aber nur, um sich kurz darauf auf einer wesentlich kleineren Bühne, die in der Mitte der Halle installiert ist, von den Fans feiern zu lassen. Gemütlich ist das.

Wie ein Club-Konzert ist das. Ganz nah dran an den Stars ist man. Das Publikum summt später den Refrain von „Rebellion (Lies)“ mit. Voller Gefühl. Und das Ende: Es findet wieder auf der großen Bühne statt. Haitianische Klänge bei „Haiti“, riesengroße aufblasbare Stabfiguren bei „Unconditional I (Lookout Kid)“ und die eingängige Klaviermelodie von „Everything Now“ lassen den Abend ausklingen. Ob das jetzt alles in Sachen Vorwürfen gegenüber Win Butler gewesen ist, bleibt dagegen abzuwarten.


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