Kmpfsprt: gezwungen, politisch zu sein
Köln (kle)
Liebe Band Kmpfsprt. Danke, dass Ihr Euch heute Zeit für die Stadtrevue nehmt.
Kmpfsprt sind: Richard Meyer (Gesang, Gitarre), David Schumann (Gesang, Gitarre), Dennis Müller (Bass), Jan Gruben (Schlagzeug).
Am Abend des 07.03.24 stellen sich David und Jan im Proberaum den Fragen des Musikjournalisten Jörg Klemenz.
Wie habt ihr um die Jahrtausendwende Köln musikalisch erlebt?
D: Eines Tages habe ich mich mit einem Kumpel einfach in den Zug gesetzt und wir fuhren nach Köln ins Bürgerzentrum Ehrenfeld auf ein Punkkonzert. Das war für mich wie die Reise in ein anderes Land und ein riesiges Abenteuer. Eine der ersten Bands, die ich dort gesehen habe, war die US-amerikanische Hardcore-Band Slapshot. Als gebürtiger Bonner war Köln für mich immer dieses subversive Ding am Rhein. Später dann, während meiner langjährigen Arbeit bei Underdog-Records, haben wir viele Konzerte im Punk,-Hardcore- und Emo-Bereich veranstaltet. Was eine Band auf der Bühne sagt, ist das eine, was eine Band Backstage untereinander redet, das andere. Und eigentlich haben alle Bands immer O-Ton gesagt: „Köln ist die beste Show auf der Tour!“ Bei den Konzerten im Underground tropfte der Schweiß von der Decke und am Ende sind viele Fans nach Hause gegangen und wollten selber ein Instrument spielen.
J: Die Herzens-Verbindung zu Köln befand sich sozusagen schon immer in mir, denn mein Vater ist Kölner. Bis heute ist es die einzige Großstadt, die mich reizt. Ende der 1990er-Jahre war Köln die Musikhauptstadt Deutschlands. Beinahe die gesamte Musikindustrie befand sich hier und auch in der Musikhochschule unterrichteten Top-Leute. Für mich persönlich war die Popkomm das absolute Highlight einmal im Jahr, wenn die gesamte Stadt Musik atmete. Und als Kind der Eifel waren es für mich vor allem die zwei Kölner Hardcore-Bands Cobretti und Days in Grief, bei denen ich mir dachte: „Was ist das? Wie können Bands aus Deutschland so gut sein?“
Aber deutsche Punk- und Hardcore-Bands kamen doch Anfang der 2000er-Jahre nicht wirklich an den Sound der amerikanischen Bands heran, oder?
D: Das stimmt. Als deutsche Band glaubtest du damals immer, das Beste, was dir passieren könnte, ist Vorband für eine Ami-Band zu sein. Und im Idealfall gingen die Zuschauer am Ende deiner Show Heim und sagten über einen: „Die waren ja gar nicht so schlecht.“ Das war das absolute Glass-Sealing. Höher, so dachten wir, werde es wohl nicht gehen. Es mag Zufall gewesen sein, dass dann ab den 2010er-Jahren, als wir mit Kmpfsprt begannen, eine Art Wandel einsetzte. Auf einmal wurdest du als deutsche Hardcore-Band nicht mehr verglichen mit Bands wie Jimmy Eat World oder Hot Water Music. Wir haben ab da an aber auch nicht mehr unbedingt versucht amerikanisch zu klingen, sondern wir haben versucht, uns mithilfe der deutschen Sprache selber stärker zu definieren und dadurch eigenständiger zu werden. Mittlerweile schaffen wir es zusammen mit Bands wie Adam Angst aus eigener Kraft, das E-Werk voll zu bekommen. Das hätte es vor noch 15 Jahren so noch nicht gegeben. Es fühlt sich gut an, wahrgenommen zu werden als eigenständiges Musikgenre und nicht mehr nur als ein Abklatsch amerikanischer Bands.
Was sagen denn die Fans zu eurem sprachlichen Wandel?
D: Generell ist dieser sprachliche Wandel tatsächlich in den vierzehn Jahren, in denen wir jetzt schon deutsche Texte schreiben, zwischen uns und unseren Fans noch nie zur Sprache gekommen. Die Texte an sich dagegen werden oft thematisiert. Ich habe Fans kennengelernt, die sich ganze Textstücke auf unterschiedliche Körperstellen haben tätowieren lassen. Eine unserer Wortneuschöpfungen zum Beispiel – „Musikdienst-Verweigerer“ – ist einem Fan buchstäblich unter die Haut gegangen. Das ist schon beeindruckend. Aber „Cool, dass ihr jetzt auf Deutsch singt“ hat explizit noch niemand zu uns gesagt. Zu dieser Zeit war es aber auch schon fast normal, deutschsprachigen Punkrock oder Hardcore zu hören. Bands wie Turbostaat oder Muff Potter gab es ja schon länger. Love A, Matula oder auch Captain Planet zum Beispiel kannten die Meisten auch schon. Da waren wir als Kmpfsprt für die Kids, die uns hörten, keine absolute Neuerfindung mehr. Die waren wir eher für uns selbst.
Ein Song von euch aus dem Jahr 2020 heißt „I hate Ehrenfeld“. Sind eure Wutgefühle mittlerweile abgeflaut?
D: Man darf das nicht falsch verstehen. Denn es handelt sich ja um ein Liebeslied ans alte Ehrenfeld. Mit „I hate Ehrenfeld“ besingen wir das, was aus Ehrenfeld gemacht wurde und gemacht wird. Beispielsweise die Gentrifizierung generell oder konkret das „Plattmachen“ des Underground – der Laden, in dem wir alle erwachsen wurden – beäugen wir äußerst kritisch. Daher ist der Hass auf das neue, moderne Ehrenfeld nicht abgeklungen, wo Kultur für profitablen Wohnraum niedergerissen wird. Gegen die Lokalität Ehrenfeld an sich haben wir nichts.
J: Aber eigentlich geht es um viel mehr, als nur um das Underground, in das wir als 1990er-Hardcore-Crossover-Punkrock-Hörer hingegangen sind. Die Werkstatt, die Papierfabrik, der Sensor Club, all diese Abrisse betrafen die gesamte Musikszene Kölns: die Hip Hop-Szene genauso wie auch die Techno-Szene oder die Punkrock-Szene. Den Subkulturen wurden wichtige Entstehungs- und Entwicklungsflächen genommen, denn gerade in so einer kulturell-musikalischen Gemengen-Suppe gründen sich Bands, schält sich mitunter große Musik heraus. Innerhalb kürzester Zeit konnte man von einer Musikwelt in die andere springen. Dass es das nicht mehr gibt, ist äußerst bedauerlich. Jetzt müssen sich Techno-Fans illegal irgendwo zu irgendeinem Brücken-Rave treffen.
Wird euer Proberaum-Komplex hier in Zollstock nicht auch bald abgerissen?
D: Genau. Noch zwei Monate, dann müssen wir hier raus. Das fühlt sich einfach nur schrecklich an. Mehr als zehn Jahre haben wir hier auf dem Gottesweg geprobt. Und nicht nur das. Vier Alben haben wir hier geschrieben, zwei Alben ein paar Meter weiter den Flur entlang in den Gottesweg-Studios aufgenommen. Während der Pandemie haben Jan und ich uns hier getroffen und Songs zusammen zum Leben erweckt. Alles ist hier passiert. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, woanders zu sein. Aber schon bald werden wieder einmal zig Kölner Bands auf der Straße stehen. Von der Stadt wird demgegenüber keine Alternative geschaffen. Damals sind wir alle nach Köln gezogen, weil wir von der vielfältigen Kultur begeistert waren. Und nun wird uns Kulturschaffenden erneut das Wasser abgegraben. Irgendwann, so mein Gefühl, wird es hier nur noch Wohn- und Bürogebäude geben mit Menschen darin, grau, die abends nach Hause gehen, weil es sonst nichts mehr geben wird, wohin sie gehen könnten. Hinzu kommt, dass man schon ordentlich Geld verdienen muss, um sich einen der neuen Proberäume auf der anderen Rheinseite – z.B. in Köln-Mühlheim – leisten zu können. Aber Hey, endlich ist Kultur wieder nur für Reiche da, so wie sich das gehört. Insgesamt ist es derzeit unerträglich, die städtisch-kulturelle Entwicklung in Köln mitzuerleben.
Konservatismus sei eine Frage der Mentalität – und zwar der Liebe zu vergehenden Dingen, behauptete einst der britische Schriftsteller und Philosoph Roger Scruton. Ihr trauert den vergehenden Dingen auch hinterher. Seid ihr also konservativ?
D: Kommt darauf an, wie man den Begriff „Konservatismus“ definiert. Erst einmal ist es ein Reizwort, das vor allem eine politische Haltung offenbart. Und zwar eine, die von rechts kommt. Die Republikaner und Donald Trump bezeichnen sich als konservativ, die AfD ebenso. Uns selbst würde ich als progressiv bezeichnen, sowohl politisch als auch lebensstilistisch. Zum Beispiel gehen wir auf Demos gegen rechts, und ein zentraler Bestandteil unserer Texte ist es, auf gesellschafts-politische Veränderung aufmerksam machen zu wollen: Weg von Kapitalismus, weg von Rassismus, hin zu einem menschwürdigen Leben für alle auf diesem Planeten. Verstehe ich konservativ aber als „bewahrend“, dann muss ich als alter Rock `n‘ Roller zugeben, eben diese Musikrichtung ein Stück weit bewahren zu wollen. Dafür würde ich jedoch nicht das vergiftete Wort des Konservatismus benutzen.
J: Bewahren möchte ich die Werte, für die ich einstehe. Das sind vor allem Mitmenschlichkeit und Solidarität. Aber nicht im Sinne einer Solidar-Gemeinschaft, die systemrelevante Banken retten muss, weil sonst alles vor die Hunde geht. Wenn ich über sowas rede, komme ich mir oft wie ein romantisch-verklärter Volldepp vor. Wie einer, der vollkommen weltfremd ist. Und wenn jemand am rechten Rand steht, dann soll er gefälligst auch nicht sagen, dass er konservativ sei. Und derjenige sollte daher auch nicht den Wertebegriff und schon gar nicht den Solidaritätsbegriff für sich in Anspruch nehmen.
Apropos: „Das Ende aller Tage“, einer eurer Songs, sei ein Aufruf zum Widerstand und zur Solidarität, schreibt ein Magazin. Schließt ihr Gewalt als Mittel des Widerstands aus?
J: Platon sagte mal, dass es besser sei, Unrecht zu ertragen, als Unrecht mit Unrecht zu vergelten. Daher bin ich für Friedfertigkeit im Widerstand. Zu anderen Mitteln möchte ich auch gar nicht greifen. Gewaltlos Widerstand zu leisten ist für mich die einzige Option.
D: Ich sehe das etwas anders. Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Gewalt lehne ich auf persönlicher Ebene ab. Es gibt allerdings Situationen, in denen Gewalt durchaus ein legitimes Mittel zur politischen Selbstverteidigung ist. Antifaschismus kann nicht nur friedlich sein. Als privilegierter weißer Mann unserer Gesellschaft kann ich entspannt von vollkommener Gewaltlosigkeit sprechen. Aber sag das mal einer schwarzen Person, die von Nazis angegriffen wird, dass sie gewaltlos reagieren muss. Gewaltlosigkeit als Ideal erkenne ich an, aber ohne ein gewisses Maß an Gewalt kann man keine Veränderung durchsetzen. Frei nach der Prämisse der russischen Oktoberrevolution: So wenig Gewalt wie möglich, so viel Gewalt wie nötig. Aber die riesigen Demos hier bei uns in Köln gegen Faschismus waren das wichtigste und stärkste Zeichen, das ich in den letzten 20 Jahren gesehen habe.
Ist daher euer neues 5. Album „Aus gegebenem Anlass“ noch politischer als die Alben davor?
D: Ja, leider. Aber eine politische Band zu sein haben wir uns nie ausgesucht. Eigentlich wollten wir früher nur eine Rock `n‘ Roll-Band sein. Wiedergefunden haben wir uns aber in der Welt, in der wir zurzeit leben und über die wir in der letzten halben Stunde ausführlich gesprochen haben. Und weil wir Songs über die Dinge schreiben wollen, die uns bewegen, kann man im Moment nicht nur über seine Ex-Freundin singen. Sondern eher über Menschen, die bombardiert oder auf den Straßen zusammengeschlagen werden. Das kann und darf uns nicht egal sein. Punkmusik ist und bleibt der Soundtrack zur Rebellion.
Erschienen in der Stadtrevue