Rapunzel - willkommen im Leben, Rapunzel!

Neuss (kle) Die böse Hexe, die Rapunzel in dem Turm gefangen hält, gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Dem Prinzen liegt nichts ferner, als sich in das schöne Mädchen mit dem langen Zopf zu verlieben und sowieso: Wer wissen will, wie das mit dem Schreiben von Märchen früher tatsächlich funktionierte, der sollte sich die neue Theater-Inszenierung „Rapunzel“ von Julia Jochmann im Theater am Schlachthof nicht entgehen lassen.

Aber von Beginn an: Die Stuhlreihen im TAS sind gut gefüllt an diesem Sonntagnachmittag bei der Kindertheater-Premiere von „Rapunzel“. Kinder und Eltern sind in freudiger Erwartung, hier und da ein „Mama, wann geht es endlich los?“ Und dann endlich schiebt sich der Bühnenvorhang auf Seite: Da hockt sie auf ihrem Turm, Rapunzel alias Julia Jochmann. Ein Blümchenkleid trägt sie. Dazu Chucks. Lässig. Genauso lässig hält sie in der Anfangszene ein Haar-Tau von oben hinein in den Wassergraben und angelt. Das ist ganz schön witzig anzusehen, finden die Kinder und lachen sich kaputt. Gleichzeitig merken sie aber auch: Rapunzel geht es nicht gut. Sie wirkt betrübt. Irgendetwas scheint ihr Sorgen zu bereiten. Auch ihre Katze Mona, einzige und beste Freundin unserer Protagonistin, schafft es nicht Rapunzels Unzufriedenheit in Gänze zu vertreiben, obwohl sie die Sprache der Menschen auf allen Ebenen perfekt beherrscht.

Das wiederum kann man vom kecken Prinzen Bob - gespielt von Lars Evers -nicht behaupten. Er poltert in das Geschehen hinein, egoistisch und arrogant kommt der daher mit seinem Zwergspitz Spike und seiner blauen Aladinhose. Er müsse und wolle sein eigenes Schloss eben dorthin bauen, wo Rapunzels Turm steht. Und Hexen? „Auch die haben sich mir unterzuordnen.“ Was er nicht ahnt, alle Kinder jedoch schon wissen: Die böse Hexe ist schon vor langer Zeit verschwunden, sie gibt es gar nicht mehr. Rapunzel möchte dem fiesen Prinzen nur etwas Angst machen in der Hoffnung, ihn so von seinem Vorhaben abbringen zu können. 

Der Handlungsrahmen für die kommenden 45 Minuten also ist grob gesteckt und die kleinen Besucher sind entzückt. Auffällig ruhig ist es im Theater, kein Murren, kein Meckern. Fast ist es so, als würde die Neugierde der Kinder den Atem anhalten. Zu Recht. Denn womit keiner gerechnet hat: Die erzählerische Hauptstrang wird immer wieder von den beiden Puppentieren Mona und Spike unterbrochen. Sie schmieden einen gut gemeinten Plan, damit Rapunzel dort bleiben kann, wo sie ist. Im Turm. Mona wird gesprochen und gelenkt von Julia Jochmann, Spike von Lars Evers. Das ist eine geniale Vernetzung mit ihrer Hauptrolle.

Überhaupt hat die Vorstellung allerhand Überraschungselemente für Jung uns Alt zu bieten. Dabei ist es für die Kleinen jedoch nicht immer einfach, alle geschickt eingebauten Verweise zu anderen Märchen zu erkennen. Dass der Prinz zum Beispiel die Telefonnummer einer Prinzessin bekommen hat, die er zufällig auf der Suche nach einer Spindel wachküssen musste, erfordert ein hohes Maß an Vorkenntnis in Sachen Märchenkultur. Eltern tuscheln aus dem Erklärungsbedarf heraus an solchen Stellen mit ihren Kindern. Das führt zu leichter Unruhe.

Aber wie endet es? Modern, kann man sagen. Das Selbstverständnis des Prinzen verschwindet. Der möchte von nun an Märchen schreiben. Und Rapunzel: Die macht einen weiten Satz über den Wassergraben. Willkommen im Leben, Rapunzel!


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