Die Leere abseits des Raums - Depression ist ein Arschloch
Neuss (kle) Um es direkt zu sagen: Das Theaterstück „Die Leere abseits des Raums“ von Jens Spörckmann ist nichts für schwache Nerven. Wird der Zuschauer in der knappen Stunde doch knallhart mit dem tiefen Fall eines jungen Menschen namens Kim konfrontiert. Zeit, um kurz durchzuatmen, geschweige denn, um das Gesprochene, das Gespielte und das Erlebte zu verarbeiten, hat das jugendliche Publikum kaum. Nur Zyniker würden die Aufführung als ideale Handreichung eines lehrbuchhaften Depressions-Verlaufs in Zeitraffer betrachten. Die Anzahl der Zyniker jedoch hält sich heute Abend im Theater am Schlachthof in Grenzen. Während des Stücks schnüren einem die alten Hasen `trügerische Ruhe´, `tiefe Ergriffenheit´ und `absolutes Schockiert-Sein´ in erschreckend harmonischer Abwechslung die Luft ab.
Dabei sind die ersten drei Minuten so vielversprechend wie lebensbejahend: Eine gewisse Aufbruch-Stimmung möchte sich breit machen. Schaffen wird sie das nicht. Unser Hauptprotagonist, gespielt von Finn Leonhardt, hat seine letzte Schulprüfung hinter sich gebracht. Nun könnte das Leben beginnen, meint man. Meint auch Kim. Er hüpft vor Freude auf seinem Bett auf und ab. Und niemand ahnt, dass es das letzte Mal sein wird. „Mein Zeugnis ist nicht gut genug“, rotzt Kim nur ein paar Minuten später den Scheinwerfern entgegen. Damit beginnt sie also nun, seine ganz persönliche Spirale abwärts. Wie ein Igel nistet er sich ein, die Bettdecke wird seine zweite Haut. Er kappt jedweden Kontakt zur Außenwelt. Inszenatorisch wird die immer wieder clever in den Kontext eingefügt: SMS-Chats, die tonal und visuell an die Wand projiziert werden, zeugen von Kims alten Freunden, von seinem alten Leben. Und Kims Mutter, gespielt von Julia Jochmann: Sie ist die Hilflosigkeit, das Unvermögen und die Resignation höchstpersönlich. „Ich lass erstmal frische Luft rein“, sagt sie zunächst noch voll von angestrengtem Elan. Frische Luft: was für eine gute Idee. Ein paar Wenige der etwa 40 Besucher atmen durch. Jetzt wird alles gut. Ganz bestimmt. Pustekuchen. Denn: Frische Luft ist manchmal eben einfach nicht genug.
Kims Antriebslosigkeit, seine Angst vor den hohen Erwartungen der Welt da draußen und seine damit einhergehende Verwandlung in einen Gregor Samsa unserer Zeit lassen sich nicht mehr aufhalten. Leonhardts schauspielerische Leistung ist es, genau diesen metamorphosen Prozess des tragischen Helden glaubhaft in Szene zu setzen. Er schreit, weint, schluchzt, krümmt sich auf dem Boden seiner frustdurchtränkten Kindheit. „Was mache ich denn jetzt bloß, warum funktioniere ich nicht richtig?“, ruft er irgendwo in Richtung Himmel. Doch er ist nicht Hiob. Er ist Kim. Der nette Junge von nebenan. Doch das Nebenan hat sie nicht kommen sehen können oder wollen: die Depression. Nicht seine Freunde, nicht seine Mutter. Nicht Kim selbst. Am Ende jedenfalls helfen keine Mutter, keine Freunde und kein Gott. Kim, der „Nichtsnutz“, kommt nicht an gegen die Sogkraft der Depression. Ein Arschloch ist sie. Soviel steht fest. Als Kim schließlich das Fenster öffnet, möchte man nicht mehr hinhören und hingucken. Es wäre auch zu spät dafür.