Die Verwandlung - außerordentliche Schauspielleistung macht Kafka zugänglich

Neuss (kle) „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Mit diesem Satz beginnt nicht nur Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“, mit diesem Satz beginnt nicht nur die Tortur des Hauptprotagonisten Gregor, mit ihm wird der Zuschauer der heutigen Theater-Premiere „Die Verwandlung@WhiteBoxX“ auch direkt mit der Sphäre des Surrealen dieser Novelle konfrontiert.

Der Inhalt ist also gesetzt. Die weiße Box als Bühne auch. Hierzu sollte man wissen: Die gesamte Inszenierung des Stückes findet in eben jener Box statt. Vorstellen kann man sich das wie eine Art riesige Holzcontainer-Kiste. Auf einer Seite in Gänze geöffnet. Bleibt daher nur noch die Frage: Wie wird eine der bekanntesten und meist zitierten Erzählungen Kafkas schauspielerisch umgesetzt? Da ist zum einen Anton Löwe. Er verkörpert Gregor. Ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Hose trägt er. Ungeziefer ist nunmal schwarz. Zumindest in unserer Fantasie. Barfuß und eine Hälfte seines Gesichtes mit Gaffa-Tape abgeklebt, irrt Löwe als menschengroßer Käfer durch sein Zimmer, die Box. Er springt, kriecht, verbiegt sich ganz schön ordentlich, während er dabei seinen Text, also vor allem seine Gedanken und Gefühle, spricht. Das ist beeindruckend. Vor allem, weil Kafkas Erzählung an sich überhaupt nicht für eine Theater-Inszenierung gedacht ist. Dem Regisseur Thomas Maria Peters war das egal. Er bearbeitete den Text und dessen Interpretations-Schwerpunkt so, dass er spielbar wurde. Und das hat er gut gemacht. Hierfür bediente sich Peters herkömmlicher Mittel wie der Textkürzung und der Textverlagerung. Kafkas verschnörkelte Sprache erhielt an nur wenigen Stellen der Aufführung einen modernen Schliff. Das macht es für Verfechter des Originaltextes einfacher, die Inszenierung akzeptieren zu können. Gleichzeitig erzeugen modern-sprachliche Elemente ein gewisses Mehr an Leichtigkeit. Gelöst beispielsweise lacht das Publikum, als am Ende der Erzählung der letzte der drei Herren Mieter die Wohnung mit den Worten „Genau“ verlässt. Er hat den Beschwerden seiner beiden Vorgänger nichts mehr hinzuzufügen.

Und da ist zum anderen Nelly Pollit. Sie verkörpert Grete. Gregors Schwester. Dass sie eine derartig zentrale Rolle samt Sprech-Passagen im Stück einnimmt, ist nicht nur vor dem Hintergrund der ursprünglichen literarischen Erzähl-Perspektive außergewöhnlich und  ungewöhnlich zugleich. Denn: Die Novelle wird eigentlich aus der Perspektive des Hauptprotagonisten bestimmt. Pollit haucht der Figur der Grete somit ein Eigenleben, einen ganz eigenen Charakter ein. Großartig.

Das Ende ist allseits bekannt: „Weg muss es!“, ruft Grete verzweifelt ihrem Vater zu und meint damit ihren Bruder Gregor. Allseits bekannt: Vielleicht. Allseits zugänglich: Vielleicht erst seit heute Abend. 


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Ganz nah dran an Wolfgang Niedecken

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Kunst und Kirche: es wurde viel gesprochen, aber wenig gesagt