Der Entstörer - wo ist die Grenze zwischen kritischem Bewusstsein und Querdenken?
Neuss (kle) Zweifelsohne hat es Verschwörungstheorien und ihre Verfechter schon immer gegeben. Nur waren sie gesellschaftlich selten so präsent und spürbar, wie in den letzten drei Jahren seit Beginn der Corona-Krise. Nicht nur die Statements von Politikern, Journalisten oder Geistlichen haben sich in dieser Zeit zu diesem Thema massen-medial die „Klinke in die Hand gegeben“. Auch Wissenschaftler jedweder Couleur – Psychologen, Philosophen oder Soziologen – äußerten sich verstärkt zu diesem Phänomen. Einer der letztgenannten Gruppe, Soziologe Prof. Dr. Heiko Beyer von der Universität Düsseldorf, unterstützte das Rheinische Landestheater mit seinem Fachwissen bei den Proben zu dem Klassenzimmer-Monolog „Der Entstörer“ von Autorin Ursula Kohlert und betont, dass schon ein persönlicher Schicksalsschlag dazu führen könne, in die Welt der Verschwörungstheorien hineinzugeraten.
Die gebürtige Düsseldorferin und derzeitige Wahl-Berlinerin Kohlert schrieb das Stück zu Beginn der Krise. Nun feiert es am kommenden Samstag, den 4. März, Premiere im RLT. Konzipiert, so Regisseurin Frances van Boeckel und Dramaturg Olivier Garofalo vom Neusser Landestheater, sei das Schauspiel speziell für junge Menschen ab 13 Jahren. Vor allem, weil die von Kohlert verwendete Alltagssprache die Jugendlichen auf leichte Art und Weise „mit ins Boot“ hole, ja, sie für die Kern-Problematik des Stückes sensibilisiere. Und die lautet: Wo ist die Grenze zwischen kritischem Bewusstsein und Querdenken? „Wir alle haben ein hohes Interesse an einer aufgeklärten und kritisch-reflektierten Jugend“, erwähnt Garofalo. Aber die Konturen zwischen gesunder und vernunft-geleiteter Kritik einerseits und verschwörungs-mythologischen Thesen andererseits werden in Zeiten globaler Vernetzung zusehends undeutlicher und deren Inhalte vermischen sich immer stärker miteinander. Das Ergebnis: grotesk. Jonas, der Protagonist der Inszenierung und in den kommenden Wochen gespielt von Anton Löwe, fühlt sich verfolgt, weil er die Wahrheit über 5G, Bill Gates, Impfungen und Aliens kenne und sie allen erzählen, die „Schlaf-Schafe“ alle aufwecken will.
Löwe jedenfalls, der sei hochmotiviert und: ein hemmungsloser Draufgänger unter den Schauspielern, erzählt van Boeckel noch ein bisschen aus dem Probe-Nähkästchen. „Zweimal hat er sich bei den Proben schon verletzt“, verrät sie. Einmal mit der Gürtelschnalle. Ein anderes Mal habe er sich seinen Daumen verstaucht. Aber klar ist: Die Herausforderung für den in Finnland geborenen Löwe ist es, die persönliche Distanz zum Thema der Verschwörungstheorien aufzugeben. Nur so, davon ist Boeckel überzeugt, könne er der Figur des Jonas gerecht werden. Niemand allerdings aus dem Team verlöre dabei die enorme Verantwortung, die nun mal mit diesem gesellschafts-relevanten Thema einherginge, aus den Augen, ergänzt Garofalo.