Der heilige Doktor von Moskau - „Fritz, bist du jeck geworden?“

Neuss (kle) Eine der wohl besten Dialog-Passagen am Samstagabend während der szenischen Lesung „Der heilige Doktor von Moskau“ von Mark Zak im Herzstück des RLT, die sich zwischen Laurenz Leky alias der historischen Figur des Dr. Friedrich Joseph Haass und dessen Schwester Wilhelmine, dargestellt von Juliane Pempelfort, abgespielt hat, lautet wie folgt: „Fritz, bist du jeck geworden?“ „Nein. Ich habe nur neue Fußfesseln erfunden und teste sie.“ Um eben diese kurze Szene verstehen zu können, muss man wissen, dass der 1780 in Bad Münstereifel geborene Dr. Friedrich Joseph Haass ein deutsch-russischer Mediziner gewesen ist, der es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, in Russland Strafgefangene seelsorgerisch, sozial und vor allem medizinisch zu betreuen. Dabei trat er praktisch für eine Humanisierung des Strafvollzugs ein. Konkret bedeutete das: 1836 setzte Haass in Moskau eine Verordnung durch, die schweren Eisenfesseln der Gefangenen durch leichtere Fesseln, die nicht mehr die Füße der Gefangenen bis auf das Blut durchscheuerten, zu ersetzen. Diese Fesseln tragen seitdem den Namen Haass’sche Fußfesseln.

Soweit der grobe Kontext. Die Kernfrage also für die Lesung war: Inwieweit wird es möglich sein, mithilfe Zaks Zusammenstellung historischer Dokumente und fiktionaler Texte über den heiligen Doktor dessen außerordentlichen Lebenswandel szenisch darzustellen? Alexander Olbrich, Dramaturg des RLT, hatte dafür eine Idee: Man nehme die historischen Dokumente auf der einen Seite - hierbei handelt es sich vornehmlich um Briefwechsel zwischen Haass und seiner Schwester oder um Korrespondenzen zwischen ihm und russischen Behörden - und setzt diese durch Schauspieler in Szene. Man nehme andererseits die auto-fiktionalen Passagen der Textvorlage und setzt diese ebenfalls, gleichwohl mit einem etwas offeneren Deutungs-Spielraum für die Schauspieler, szenisch um. Viel braucht es für das alles nicht: einen Tisch, den dialogisierten Text und drei Schauspieler. Und die machen das großartig. Laurenz Leky schafft es gekonnt durch den ständigen Wechsel von Eifeler Mundart hin zu klarem Hochdeutsch, zwischen historischer und fiktionaler Textebene hin und her zu switchen, Juliane Pempelfort spricht als Schwester des Doktors so überzeugend, dass man ihr ihr sorgenvolles Gemüt ohne Weiteres abnimmt – „Fritz, du bist ein kluger Kopf. Manchmal“ - und René Michaelsen alias das Behördentum findet stets den spitzfindigsten Unterton eines russischen Beamten, den man sich nur vorstellen kann. In diesem Sinne: „Beeilt euch, Gutes zu tun!“ (Dr. Friedrich J. Haass)


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Der Entstörer - wo ist die Grenze zwischen kritischem Bewusstsein und Querdenken?

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