Ein Tagesausflug zur Burg Vischering - Ritter Lambert und das eiserne Halsband

Lüdinghausen (kle) Wenn man erst einmal aus Richtung Südwesten den Wall des Ruhrgebiets überwunden und es auf der A43 bis hinter die Stadtgrenzen Recklinghausens geschafft hat, dann kann man damit beginnen, sich eine Burg inmitten der typischen Heide- und Sumpflandschaft des südlichen Münsterlandes vorzustellen. Bevor jedoch die eigenen Fantasien beginnen, Bilder einer brachialen und uneinnehmbaren Festungs-Anlage zu malen, die zu all dem halb wie in einen massiven Felsen hineingeschlagen, halb wie auf einen solchen draufgesetzt wirkt, sollte klargestellt werden: Die Burg Vischering ist eine münsterländische Wasserburg. Und Wasserburgen weisen nicht diesen typisch martialischen Charakter einer Burg auf, mit dem die meisten von uns durch zahlreiche grimmsche Märchen und deren Verfilmungen sozialisiert wurden. Nein, um es vorwegzunehmen: Eine Wasserburg ist sozusagen das zartere Pendant zum mächtigen Gegenüber eines Schlosses Neuschwanstein oder einer Burg Eltz.

Bevor wir mit unserem Auto nun also auf den Parkplatz der Familie Droste zu Vischering fahren, eine Geschichts-Stunde in Schnelldurchlauf-Manier: Gerhard von der Mark, Bischof von Münster zwischen 1261 und 1272, ließ die Burg 1271 zunächst als Zwingburg auf einer etwa 80 Meter langen Sandinsel nördlich des Örtchens Lüdinghausen erbauen. Spätestens ab 1455 nannte sich die auf der Burg ansässige Familie Droste zu Vischering, deren Eigentum die Anlage noch heute ist. Unter den mehr als 100 Burgen und Schlössern des Münsterlandes ist die Burg Vischering eine der ältesten und besterhaltenen Anlagen. Und das, obwohl die Burg 1521 bei einem Brand fast vollständig zerstört wurde. In den Jahrzehnten danach baute man sie wieder auf. Der Bau-Ästhetik dieser Zeit, nämlich die der Renaissance, konnte sich die Burg nicht entziehen. Der Rest: Die Wasserburg wurde nach schweren Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg ein weiteres Mal umfangreich restauriert und schließlich ab 1986 unter Denkmalschutz gestellt. Heute beherbergt sie unter anderem das Münsterlandmuseum.

Ein kleines Schild, auf dem „Willkommen auf der Burg Vischering“ und etwas kleiner darunter „Hunde bitte an die Leine nehmen“ oder „Bitte keine Enten und Fische füttern“ steht, erklärt und zeigt den kleinen und großen Burgliebhabern, wo es lang geht. Den richtigen Weg hin zum Kassenhäuschen mit integriertem Souvenir-Shop zu finden, ist allerdings nicht besonders schwierig. Weil es nur einen einzigen Pfad Richtung Burg gibt. Die Mitarbeiterin des Burg-Teams beantwortet Fragen wie „Wie lange haben sie eigentlich heute geöffnet?“ oder „Gibt es einen Eintritts-Rabatt auch für Senioren?“ äußerst freundlich und geduldig. Aus Geheim-Fächern kramt sie dann noch Prospekte von Sonderveranstaltungen hervor, die im kommenden Sommer am und auf dem Burggelände stattfinden werden. Ein Prospekt-Highlight ist ein über 150 Seiten dickes Büchlein mit dem Titel „100-Schlösser-Route: Erlebe die Königin der Radrouten“. Noch bevor wir also das Burgtor dieser einen Burg hier erreicht haben, träumen wir bereits von 99 anderen ihrer Art.

Karpfen, die teilweise größer als ein handelsübliches zwei-Meter-Kanalgrundrohr sind. Foto: J.G. Klemenz

Meterdicke Tunnelbauten, unumstößlich wie Elefanten sind solche Burgtore. Eigentlich. Das Zugbrückentor der Wasserburg Vischering dagegen ähnelt vielmehr einem ausgedörrten Gnu unter grellem Sonnenschein. Der Vorplatz des äußeren Burgrings ist übersichtlich: Linker Hand befindet sich ein gemütliches Burg-Café namens „Café Reitstall“, rechter Hand ein Brotverkauf. Wenn man Glück hat, wird man hier vom Brot-Sommelier höchstpersönlich über Focaccia, Spargelbrot und Co. aufgeklärt. Der Geruch jedenfalls, der aus dem kleinen Räumchen herausweht, ist ein kleines Päuschen wert, bevor es zunächst auf den Burg-Rundweg geht. Man nähert sich dem Juwel der Anlage, der sogenannten Kernburg, sozusagen in geozentrischen Kreisbewegungen langsam an. So wird zumindest die Spannung stetig aufrechterhalten. Man könnte auch sagen: Das, was man in seiner schönsten Pracht schon sehen und begehren kann, scheint gleichzeitig durch den breiten Wassergraben noch so weit weg. Stellen sie sich ein auf missmutige Fragen des Juniors wie „Boah, wann gehen wir denn endlich in die Burg rein, Papa?“ und antworten sie darauf vielleicht so etwas wie „Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind / in dürren Blättern säuselt der Wind“. Wenn nicht hier, wo und wann denn dann? Auf der etwa 100 Meter langen Holzbrücke, unter der das grün-gelbliche Wasser zwischen Außen- und Innenring der Burg schimmert, und in dem Karpfen, teilweise größer als ein handelsübliches zwei-Meter-Kanalgrundrohr, entspannt umherschwimmen, bestimmt nicht. Weil es spätestens ab da an um den Junior geschehen, die Burg nur noch Randerscheinung ist, denn: So ein großer Karpfen ist eben ein großer Karpfen. Kinder hüpfen von einem Brückengeländer zum anderen, „Da, da, da!“ rufen schon die Kleinsten. Antworten sie darauf vielleicht so etwas wie „Aha, aha, aha“. Wenn nicht hier, wo und wann denn dann?

Und wenn man nach der langwierigen Karpfen-Beschauungs- und Begeisterungsorgie nun endlich das Drehkreuz der inneren Burganlage passiert hat, erwarten einen im Gebäude so einige Schmuckstückchen. Sowohl materiell als auch informativ. Letzteres ist schnell abgehakt mit Überschriften wie „Wozu braucht der Bischof eine Burg?“, „Bett und Bekenntnis“ oder „Das eiserne Halsband“. An denen nämlich hangeln sich die wissbegierigen Besucher von Raum zu Raum. Solche inhaltlichen Übersichts-Tafeln sind pädagogisch mittlerweile nicht mehr wegzudenken aus der Museumslandschaft. Wieso auch? Die Kleinen lernen lesen und grob, wie das Leben so auf einer Burg ausgesehen haben muss, und die Großen können ihren Kindern mithilfe des Kleingedruckten zusätzliche Informationen zukommen lassen. Easy learning also für die ganze Familie. Aber Moment, Teil 1: Um was genau geht es denn eigentlich in dem Raum „Bett und Bekenntnis“? Dazu muss man wissen, dass sich die Dauerausstellung in der Burg der Geschichte ihrer ehemaligen Bewohner und dem Thema „Das Leben des Adels“ widmet. Und eines der kunsthistorisch bedeutendsten Ausstellungs-Stücke ist das aus dem 16. Jahrhundert stammende Ehebett des Heidenreich Droste zu Vischering und seiner Frau Jaspara. Das 1,45 × 2 Meter große Himmelbett gehörte zum Original-Inventar der Burg und ist während des Umherschlenderns ein Hingucker für Jung und Alt. Definitiv.  Noch vorhandene Reste der früheren farblichen Fassung lassen erahnen, welch farbenfrohen Eindruck das Bett einst auf den Betrachter gemacht haben musste. Aber Moment, Teil 2: Um was genau geht es denn eigentlich in dem Raum „Das eiserne Halsband“? Eine weitere Geschichts-Stunde in Schnelldurchlauf-Manier: Man schrieb das Jahr 1520, als Ritter Lambert von Oer zu Kakesbeck unweit seiner Burg von Ritter Goddert Harmen und acht Kumpanen überfallen wurde und ihm gewaltsam ein eisernes Stachelhalsband umgelegt wurde. Er schleppte sich zur Burg Kakesbeck und versuchte verzweifelt, dieses grausame Ding entfernen zu lassen. Doch vergeblich. In ganz Lüdinghausen fand sich niemand, der in der Lage war, den raffinierten Schließmechanismus des Bandes zu betätigen, und so musste Ritter Lambert sich unter unvorstellbaren Schmerzen nach Münster begeben. Erst dort befreite ihn ein Schmied vom eisernen Halsband. Soweit die Erzählung. Noch beeindruckender allerdings ist das originale eiserne Halsband, das, für jedermann gut sichtbar, unter einer dicken Kunststoff-Vitrine Höhepunkt der Ausstellung ist. Wüsste man es nicht besser, so könnte man meinen, noch die Schmerz-Schreie des Ritters auf den Fluren der Burg zu hören. Beim Eintragen ins Gästebuch jedenfalls zitterten dem Junior noch seine Händchen. Ganz leicht zumindest. Kurze Zeit später, auf dem modern angelegten Spielplatz direkt hinter der Burganlage, war das große Bibbern und Zittern schon längst wieder vergessen. „Papa, das war die erste Burg. Wann kommt die nächste?“ 


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