Ein herzzerreißendes Kreischen empfängt Sam Fender in Köln

WAZ

Köln (kle) Samuel Thomas Fender, englischer Singer-Songwriter, sagte in einem Interview mal Folgendes: „Ich habe meine Schule versaut, weil ich zu beschäftigt damit war ein Idiot zu sein und Gitarre zu spielen. Es sah alles schwer danach aus, dass ich hier in North Shields für immer bleiben würde.“ Ein paar Jahre später, genauer gesagt Anfang 2019, sorgte der 30-Jährige dann für eine große Überraschung bei den Brit-Awards, gewann er da doch den sogenannten Kritiker-Preis und schloss sich dadurch einer Riege großer Namen wie Sam Smith, Adele oder Florence And The Machine an. Zuvor supportete er gemeinsam mit seiner Band sowohl Hozier als auch Catfish And The Bottlemen und Jake Bugg. Irgendwo da siedelt sich Fenders Musik – grob betrachtet - auch ein: zwischen dem halllastigen Songwriting eines Folk-Stars, den Catfish-E-Gitarren und diesem Stimme-einer-Generation-Gen von Herrn Bugg.

Und jetzt steht der einstige Shootingstar des Indie-Rock und der, dessen Ruf ihm vorauseilt, seine Musik sei die Stimme einer traurigen und verwirrten Generation, an diesem Montagabend im Rahmen seines einzigen NRW-Konzertes auf der Bühne des restlos ausverkauften Kölner Palladiums - er hat noch nichts gesagt, geschweige denn gespielt oder gesungen -, und seine altersstruktur-divers daherkommende Fangemeinde (unter ihnen auch viele Native-Speaker aus dem Vereinigten Königreich) kreischt so herzzerreißend laut, als wäre es am Ende des Tages die sinnvollste therapeutische Maßnahme gegen Alltagsstress (was es nachgewiesener Maßen medizinisch auch ist). Verstörend allerdings: Einige wenige Zuschauer zocken während des Auftritts der Support-Sängerin CMAT auf dem Boden hockend irgendwelche Handyspiele.

Doch bevor Geordie Springsteen (Spitzname für den Nordengländer auf den Spuren Bruce Springsteens) gleich zu Beginn zwei seiner erfolgreichsten Songs, die zusammen bei Spotify mehr als 40 Millionen Streams verzeichnen, heraushaut – „Arm’s Length“ und seine unlängst veröffentlichte Single „People Watching“ -, verwandelt sich das Palladium durch die Eingangsnummer „Something Heavy“ in eine Art Country-Eldorado: Die Pedal-Steel-Gitarren mit ihren für sie so charakteristischen Country-Slide-Klängen heulen zwischen dem klaren Beat auf wie leidende Hunde, denen man etwas zu stark auf die Pfoten getreten ist.  Da juckt es einen schon, sich direkt am nächsten Tag als tollkühner Nichtreiter für ein Rodeo anzumelden. Erscheint die Musikalität beim ersten Hören von „Arm’s Length“ eher simpel – Anschlagsrhythmik oder Tonalität -, so ist das erzeugte Gefühl dieses Liedes tiefgreifend. Und nachhaltig ergreifend. Bei all dem sieht Fender von Weitem in seiner Bewegung und mit seiner Les Paul-Gitarre tatsächlich ein bisschen wie der junge Boss aus.

Generell schaffen es die Songs des britischen Wunderkinds, die mitunter eine Hymnen-Mixtur aus 80er-Jahre Pop à la John Farnham, aus Alternative-Rock von The 1975 und irgendwie auch Petty-Elemente aufweisen, immer wieder, eine komplexe Atmosphäre der Aktion zu erzeugen: Man weiß gar nicht so recht, ob man mitsingen, ausgelassen zusammen mit seinen Freunden abtanzen oder den Song einfach nur – willentlich versteht sich! – auf sich niederprasseln lassen soll. Letzteres ist zu empfehlen und total schön.

Apropos wunderschön: Die Obertöne der Gitarren und Fenders honigwarme Stimme scheinen eine Art Liebesbeziehung eingegangen zu sein: Umschlingen die beiden sich doch so umeinander, als hätten sie sich gerade eben erst Backstage kennengelernt, ineinander verliebt und noch so unglaublich viel zu erzählen. Da passt natürlich der Song „Will We Talk?“ wie das Fäustchen aufs Äugchen. Und dass Fenders Lieder oft länger als die klassischen dreieinhalb Minuten dauern, fällt überhaupt nicht auf; ist die Vielfältigkeit der Kompositionen so weit gefächert und bunt wie ein Blumenstrauß, den ein Sohn seiner Mutter schenken würde, wäre er nach einer endlosen Tour und unzähligen Hotelzimmern mal wieder zu Hause. Fazit: Lieber Sam Fender. Sie sind kein Idiot. Sie sind ein großartiger Musiker.               


Erschienen in der WAZ

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