Marteria - Dornröschen kann einpacken
Köln (kle) Etwa eine Stunde vor Konzertbeginn steht immer noch eine ungewöhnlich lange Schlange vor der Abendkasse an der Lanxess-Arena. Das Thermometer zeigt –5 Grad Celsius. Drinnen läuft gerade der Soundcheck. „Jump“ von Van Halen wird angespielt. Wenn der Titel der Hardrock-Band mal keine Prophezeiung für den heutigen Abend ist. Die Fans jedenfalls hören sich das an. Sie warten geduldig auf Marten Laciny alias Marteria.
Und der kommt dann auch pünktlich um neun in schwarzer Knickerbocker-Hose und weißer Angler-Weste auf die Bühne. Hinter ihm auf der Leinwand türmen sich schwefelfarbige Wolken auf. Er rappt „Auch wenn es morgen zu Ende wär / Weiß ich nicht welcher Tag heut ist“. Von jetzt auf gleich ist die Stimmung auf dem Siedepunkt. Keine Zeit für Sperenzien. „Ich will alle springen sehn!“, schreit Marteria ins Mikro. Das müsste er gar nicht. Denn: Die Arena springt von ganz allein bei „Marilyn“. Niemand erinnert sich mehr an „Jump“.
Die Show lebt aber auch von den durchdachten Leinwand-Einspielern. Die passen nämlich immer gut zu den Song-Titeln. Bei „Sekundenschlaf“ beispielsweise werden die rund 15000 Zuschauer durch eine Art farbigen Licht-Tunnel regelrecht paralysiert. Die Nummer selbst erinnert stark an Peter Fox’ „Haus am See“ oder an „Tag am Meer“ von den Fantas. Auf jedenfall entspannt sie, soviel steht fest, gab es zuvor mit „Marteria Girls“ oder „Endboss“ doch schon genug Möglichkeiten, sich ordentlich auszupowern. Wie beim Karneval in Rio geht es dann bei „Strandkind“ zu. Samba-Rhytmen zwingen das Publikum zu tanzen. Die Menschenmenge im Innenraum der Arena erinnert in ihrer Kollektiv-Bewegung tatsächlich ein bisschen an Sand, der durch Windstöße durcheinandergewirbelt wird.
Die aggressiven Tonfolgen von „Bengalische Tiger“ verwandeln die Arena kurze Zeit später dann in ein aufgeheiztes Fußballstadion. Die vorderen Reihen werden ordentlich eingenebelt, rote Lichtblitze und Bengalos brechen die Nebelschwaden lokal etwas auf. Das ist Südkurven-Atmosphäre par excellence. „Bin restistent gegen Tränengas / Steine regnen, sie werfen mit Wasser“ singt der gebürtige Rostocker. Sein Herz schlägt für den FC Hansa. Das wissen alle hier. Aber: Er liebe auch Köln, betont er während des Auftritts desöfteren, zu den Beats von „Blue Marlin“ werfen alle ihre Arme nach vorn und wieder nach hinten. Wie eine Portugiesische Galeere, die sich im Meer treiben lässt, sieht das aus.
Etwas ruhiger wird es, als Marteria von seiner Reise in das Amazonas-Gebiet erzählt. Aufmerksam lauscht man seiner Geschichte vom Frosch, den er irgendwo im dichten Farn des Regenwaldes gerettet hat. Der, aber auch die gesamte Welt sei beschützenswert, meint Laciny. Und weil er diese Botschaft weitergeben wolle, habe er das Lied „Wald“ komponiert. Und das ist wunderschön: „Nur hier kann ich atmen, die Stadt einfach begraben und frei sein“. Viele Zuschauer lassen sich treiben, bevor schließlich mit „Verstrahlt“, „OMG!“ und „Adrenalin“ der Moshpit aus der Amazonas-Hypnose erwacht. Dornröschen kann einpacken. „Ich will einen riesen Mosh hier vorne sehen“, befiehlt Marteria. Und die Fans gehorchen. Der innere Kreis vor der Bühne wird extrem zusammengepresst. Das muss ganz schön wehtun. Und dann bebt die Halle, die Lanxess-Arena wird zum Mosh-Gebiet. So etwas in diesen Ausmaßen sieht man nur selten. Marteria und seine Fans brennen bei „Feuer“ die Hütte ab.