Kraftklub – keine Zeit für Grapscher

Düsseldorf (kle) Das Ende der Schlange auf dem Gehweg der Siegburger Straße ist nicht zu sehen am heutigen Abend, kurz bevor die Türen der Mitsubishi Electric Halle ihre Pforten öffnen. Rund 6000 Fans der Chemnitzer Indierock-Band Kraftklub stehen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt geduldig in der Reihe und warten darauf, dass sich endlich etwas bewegt. Einige von ihnen tragen kurze Hosen, wohlwissend, was sie ein paar Stunden später während des Konzertes der fünf Jungs um Frontmann Felix Kummer erwarten wird. 

Da ist zum Beispiel der Auftakt der Show. Eng geht es zu vor der Bühne, der Innenraum ist zweigeteilt durch einen Wellenbrecher, ein Blitzlicht-Hagel durchzuckt die Halle bei „In meinem Kopf“. Kummer steht da in seiner schwarzen Röhren-Hose und in seinen weißen Socken wie Michael Jackson auf Punk. Er singt „Ein lauter Mob erstürmt mein Schloss / Die Dorfbewohner komm'n und pfähl'n mich mit dem Pflock“. Der Innenraum wankt hin und her, wie eine wabernde Masse sieht das aus. Die typischen Off-Beats der Chemnitzer treiben den Moshpit an, der sich einmal quer durch die gesamte Halle zieht. Off ist hier jedoch gar nichts. Und auch die Band, die heute ihr letztes Konzert auf der „Kargo“-Tour gibt, wirkt alles andere als müde und erschöpft. Vor allem Bassist Til Kummer springt bei „Wittenberg ist nicht Paris“ wild auf der Bühne herum. Wochenlange Tour-Strapazen merkt man ihm nicht an. Kurz darauf wird sein Bruder Felix ein bisschen ernster, denn Grapscher, die seien heute Abend nicht willkommen, betont er, „meldet sie bitte dem Sicherheits-Personal“, ruft er seinen Fans zu. Die jubeln erst. Dann pogen sie zu „Eure Mädchen“ und singen „Wir sind nicht, wie die anderen Jungs / Oh-oh-oh-oh-oh / Doch eure Mädchen tanzen mit uns“.

Überhaupt tanzen: Das Tempo der Songs ist enorm hoch, Kummer peitscht das Publikum immer wieder an. Das kann er gut. Fast scheint es, als wüsste er genau, welche Reaktion er mit jeder seiner auch nur so unscheinbaren Bewegung bei den Zuschauern auszulösen vermag. Er ist der Steuermann, der Dirigent. Er schreit „Doch auch wenn andere Städte scheiße sind“ und die Sechstausend schreien zurück: „Ich will nicht nach Berlin“. Die Oberränge wackeln. Bei „Wie ich“ rauscht eine riesiger Moshpit im Rhythmus der Nummer nach vorne, stößt gegen die vordere Bühnen-Absperrung. Die ersten beiden Reihen müssen diesem Druck standhalten. Fans werden vom Personal aus dem Mob gezogen. Jemand im Bühnengraben wedelt ein paar Zuschauern mit einem großen Sauna-Handtuch Luft zu. Kurze Hosen: Selten haben sie sich so bewährt. Dann stimmen alle zusammen mit Kummer an: „Ich hab' Angst / Hast du Angst? / Alman Angst“. Der dirigiert genussvoll.

Schließlich kommt etwas mehr Ruhe rein. Kraftklub haben ihren Konzert-Ablauf gut durchdacht. Sie wissen um ihre kräftezehrenden Songs. „In erster Linie sind wir eine Live-Band“, erzählt Kummer, und weiter erklärt er, warum das mit dem Konzert vor drei Wochen nicht geklappt habe: Corona. Bei vier Bandmitgliedern sei es kurz vor Beginn der Show nachgewiesen worden. Kummer kann sich ein Lachen nicht verkneifen, und dann sagt er: „Wenn es euch nichts ausmacht, würden wir gerne mal zu euch runterkommen.“ Das sieht man selten: Eine Band bahnt sich ihren Weg hindurch und hinein ins Publikum. Da stehen die Fünf also. Mittendrin. Wahrlich: Rockstars zum Anfassen. Und der Song „Bei dir“ wird zum emotionalen Höhepunkt des Abends. „Du hast mich ein kleines bisschen repariert / Denn bist du da / Bin ich nicht mehr dieser Wichser, der ich war“ singen alle leise mit. Etwas Spirituelles hat das. Gänsehaut.

Am Ende spielen Kraftklub natürlich noch ihre Lieder „Chemie Chemie Ya“, „Songs für Liam“ oder „Blaues Licht“. Die Lippen eines Mannes draußen am Brezel-Stand bewegen sich zu „Draußen ist blaues Licht / Aber bitte geh noch nicht“. Kraftklub: immer wieder gerne.   


Zurück
Zurück

Howard Jones – so was hörte man früher im Opel Ascona E

Weiter
Weiter

Billy Talent lassen Fans bis zur Ekstase tanzen