Messer: rote Zonen
Köln (kle)
Liebe Band Messer. Danke, dass Ihr Euch heute Zeit für die Stadtrevue nehmt.
Messer sind: Hendrik Otremba (Gesang, Gitarre), Milek (Gitarre), Pogo McCartney (Bass), Philipp Wulf (Schlagzeug).
Am Abend des 18.03.24 nach Konzertschluss im Kölner Club Subway stellen sich Hendrik und Pogo den Fragen des Musikjournalisten Jörg Klemenz.
Ist euer neues Album „Kratermusik“ als eine Art Aus-Blick zu neuen „roten Zonen“, wie sie beispielsweise auch nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind, zu verstehen?
H: Das ist interessant. Für uns war der Begriff Kratermusik etwas, was aus einem Gefühl heraus stammt, das man erst bekommen kann, wenn man mit der Platte fertig ist. Denn in diesem Fall war es ein sehr langwieriger Prozess von zwei Jahren, in dem Musik und Text zusammengewachsen sind und eine Idee von Sound entstanden ist. Währenddessen überlegt man sich selbstverständlich auch, welchen Namen man dem Kind gibt. Und Kratermusik war für uns zunächst einmal so eine Art Messer-Wort. Dazu muss man wissen: In unseren Texten gibt ein Gefühl für bestimmte Begriffe. Kratermusik passte für uns am Ende zu dem, was da entstanden ist. Weil in dem Wort eine gewisse Mehrdeutigkeit steckt, die für uns reizvoll ist. Aus meiner Perspektive hat das Wort vor allem etwas, das aufgeladen ist mit Vergänglichem und Zukünftigem. Von dem man gar nicht so richtig sagen kann, ob es gut oder schlecht ist. Das Gegensätzliche darin hat bei der Namensgebung eine wichtige Rolle gespielt. Ein Krater kann einerseits etwas total Idyllisches sein aufgrund einer Ruhe, die nach etwas Gewaltigem eingekehrt ist. Andererseits kann er auch etwas Naturgewaltiges sein. Für mich persönlich hat ein Krater aber eher etwas Friedvolles und weniger etwas von einem Vernichtungs-Geschehen. Es geht vielmehr um das Danach, das Post-Zivilisatorische, das Post-Anthropozän.
Du singst in eurem Song „Frieden finden“ von einem „Geist, der nicht verschwinden kann / er sehnt sich nach Erlösung“.
H: Der Geist ist für mich sozusagen der Wandernde, derjenige, der nicht loslassen und wegschauen kann, der aber auch nicht mehr so richtig konkret betroffen ist, der sich in einem merkwürdigen Totenzustand befindet. Er ist in die Distanz gedrungen, um zu betrachten, was übrig bleibt. Aber um es vielleicht etwas pragmatischer zu greifen: Der Begriff Kratermusik stellt für uns auf augenzwinkernde Art nicht zuletzt auch eine Genre-Beschreibung dar. Denn in einer Band kommt irgendwann immer die Frage der eigenen Einordnung auf. Und bei uns ist völlig klar: Wir kommen aus einem Punk-Kontext, gleichzeitig sind wir jedoch bei unserem neuen Album mit einer gewissen Öffnung an die Sache herangegegangen, die das gar nicht so klar definiert. Letztendlich sind wir an den Sound rangegangen und die Musik reichte eigentlich vollkommen aus. Und natürlich fanden wir es irgendwie auch sexy, sich augenzwinkernd ein eigenes Genre zu stiften und zu sagen: „Vielleicht machen wir Kratermusik.“
Eines eurer Lieder trägt den Titel „Schweinelobby (Der Defätist)“. Würdet ihr ein Konzert an der Front in der Ost-Ukraine spielen?
H: Ich weiß, dass DJ Paul Kalkbrenner früher unter dem Titel „Beats fürs Vaterland“ in Afghanistan vor deutschen Soldaten auflegte. Als ich das damals mitbekam, war ich schon ziemlich irritiert. Wir würden definitiv nicht für und vor Soldatinnen und Soldaten an der Front spielen. Zum einen hätten wir einfach Angst, an einen solchen Ort zu gehen und natürlich verstehen wir uns als Gegner solch kriegerischer Auseinandersetzungen.
P: Man würde sich dadurch mit etwas einverstanden erklären, womit wir partout nicht einverstanden sind. Grundsätzlich bestehen dort Herrschaftsverhältnisse, die zu diesem kriegerischen Akt führen, mit denen und mit dem wir uns per sé nicht identifizieren. Bei allem Leid, das da tagtäglich geschieht: Das Geschäft wollen wir nicht mitmachen.
H: Ich muss unweigerlich an den Film „Apocalypse Now“ von Francis Ford Coppola denken, in dem mit einem Hubschrauber irgendwelche Starlets in den Vietnam eingeflogen werden. Das ist ja zynisch. An einem Ort der konkreten Vernichtung versucht man das genaue Gegenteil, nämlich die Sehnsucht nach Schönheit, zu erzeugen und dahinzusetzen. Also: Wir werden vor keinen Soldaten spielen. Außerdem ist das eine hypothetische Frage, weil wir eh nie gefragt werden würden.
In Goethes Faust I hindert das Zeichen des Pentagramms den Teufel Mephistopheles daran, Fausts Studierzimmer zu verlassen. In dem Musikvideo zu „Schweinelobby (Der Defätist)“ sieht man unter anderem zwei tanzende Puppen: Die eine ist Faust, die andere Mephisto.
Was ist des Pudels Kern eurer Musik?
*Es wird herzlich und innig gelacht*
H: Keine Ahnung. Eine gute Frage.
P: Eine wirklich gute Frage. Und eine, die mich tatsächlich gerade überfordert. Darüber müssten wir länger nachdenken, glaube ich. Aber du bist der erste, der diese Puppenspiel-Szene erkannt und richtig eingeordnet hat.
H: Spontan würde ich sagen, dass der Kern unserer Musik eine Verknüpfung von Freundschaft und Leidenschaft ist, um es ganz kitschig zu formulieren. Wir mögen uns gegenseitig sehr. Und das schon sehr lange. Wir sind froh, dass die Band einen Rahmen schafft, um als Freunde miteinander altern, reifen und sich in der Freundschaft immer wieder aufs Neue erfinden und entdecken zu können. Wir haben wirklich große Lust, Musik zusammen zu machen und unserer Freundschaft ein Abenteuer zu schenken und nicht in Routinen zu verfallen. Natürlich ist das manchmal auch eine Herausforderung, aber wenn ich allein überlege, wie wir uns heute Abend auf der Bühne angeguckt haben, wie albern wir heute miteinander waren und wie ernst wir auf anderen Konzerten sein können, dann glaube ich an das Musikalische im Kontext einer Freundschaft. Weil es mich dazu nötigt, mich auf unterschiedlichste Weise zu entdecken. Das empfinde ich als totales Geschenk. Und was ich dann noch dazu sagen kann: In Köln sind unsere Auftritte stets etwas Besonderes. Die Zuschauer hier lächeln auffällig doll. Sie sind sehr beweglich. Hier haben wir es immer sehr gut. Das hat bestimmt etwas mit der Kölner Techno-Szene zu tun. Apropos: In irgendeinem Abteil eines Regionalzugs auf dem Weg nach Köln zu einer Techno-Party im Stadtgarten kam uns die Idee unseres Bandnamens. Daher hat der Weg nach Köln für uns stets eine witzige Koinzidenz.
P: Weil wir gerade in und beim Thema Köln sind: In dem Musikvideo gibt es auch eine Puppe mit Sonnenbrille und Schnurrbart, die dem ehemals großen Kölner Musiker Holger Czukay sehr ähnlich sieht. Seitdem heißt diese Puppe im Puppentheater Charivari Holger.
Bleiben wir noch kurz ein bisschen bei Goethe. Ihr habt im Jahr 2014 im Auftrag des Goethe-Instituts Konzerte In China gespielt. Wie war diese Erfahrung für euch?
P: Das war unfassbar prägend für die Band, und die Konzerte dort waren so gänzlich anders als alles, was wir sonst mit Messer oder anderen Bands erlebt haben. Das war wirklich eine ganz abgefahrene Erfahrung. Nicht, dass so eine China-Tour ein Antrieb wäre, Musik zu machen. Aber man muss es auch einfach mal klar sagen: Unsere westlichen Gefilde sind ja übersättigt mit Indierock-Konzerten. In China dagegen finden solche Aufführungen äußerst selten statt.
H: Das war irre. Vor allem haben wir gemerkt, wie sehr man in Vorurteile und Klischees verfällt, obwohl man meint, total reflektiert zu sein. Natürlich haben wir eine gewisse Strenge in China erwartet, die hintergründig hier und da auch zu spüren war. Aber letztlich war das ein wahnsinnig befreites Spielen und vor allem eine ganz stark ästhetische Erfahrung. In Qingdao zum Beispiel hing dieser ganze Nebel zwischen den Wolkenkratzern. Was wir zunächst als Smog verstanden, entpuppte sich als frische Luft. Das Schönste aber waren die Konzerte. Zuerst saßen die 1200 jungen Studierenden auf ihren Stühlen vor uns mit einem riesigen Abstand. Wir versuchten Signale zu senden, dass sie zur Bühne kommen sollen. Dann sind sie aufgesprungen und ein gewaltiger Menschenstrom mit Knick-Lichtern stürmte an die Bühne. Und ein Bild werde ich nie vergessen: Irgendwann schaute ich zu Pogo herüber und da hingen mindestens drei Fans an ihm, während er spielte. Das war eine unsagbare Euphorie in China. Die Leute waren da wie angezündet. Und das Frühstück – eine sauerscharfe Kohlsuppe mit handgezogenen Weizennudeln – hat so gut geschmeckt.
Apropos Frühstück: Im Song „Im falschen Traum“ erzählt ihr davon, wie schön das Erwachen sei, wenn man den Traum begreife. Wann seid ihr denn das letzte Mal aus einem Traum erwacht, der sich falsch anfühlte?
H: Ehrlich gesagt ist das bei mir Daily Business. Ich merke, dass die Welt, die man durch das künstlerische Schaffen kanalisiert in Schranken weisen kann, im Traum schonungslos zu einem kehrt. Meine Träume sind intensiv und heftig. Das spielt für meine Texte eine wesentliche Rolle. Wichtig bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Träumen ist es jedoch, sich im Erwachen glücklich zu fühlen wieder wach zu sein, um die Gegenwart besser umarmen zu können.
Fiktiv: Schon morgen um dieselbe Uhrzeit, so meldet die Nasa, werde ein riesiger Meteoroid mit der Erde kollidieren. Was wäre eure letzte Botschaft an das Münchener Publikum?
*Es wird herzlich und innig gelacht*
H: Ich glaube, das wäre eine undenkbare Hinwendung zum grenzenlosen Hedonismus, und wir würden wahrscheinlich sagen „Let’s get it on“.
P: Für mich wäre so ein Konzert unter diesen Rahmenbedingungen das lebensbejahende Schöne im Unschönen. Wir würden mit allen eine große Feier veranstalten. Nützt ja nichts.
Vielen lieben Dank für das Interview, lieber Hendrik und Pogo.
Erschienen in der Stadtrevue