Vor den Toren Kölns: The Real Pop

Aachen (kle) Jörg Klemenz besuchte einen kölschen Abend im Aachener Umland und spürte, wie das Unbehagen in ihm hoch kroch

Betritt man morgens gegen 10 Uhr die Florentiner Kaffeemanufaktur »Ditta Artigianale Sant’Ambrogio«, die erst vor kurzem im frisch restaurierten Klosterkomplex ­Monastero di Sant’Ambrogio auf der Via Giosuè Carducci eröffnete, fällt neben dem unwiderstehlichen Geruch von Kaffeebohnen vor allem eins auf: die gute Musik, die dezent aus den Lautsprechern tönt. »Every­where« von Fleetwood Mac etwa oder »Jazz Ain’t Nothing But Soul« von esperanza spalding. Am Ende ­dieses wundervollen Songs singt Spalding »For me, jazz is all the truth to be found / Never mind who’s puttin‘ it down«: »Für mich ist Jazz die einzige Wahrheit, die man finden kann. Egal, wer ihn spielt«.  

Zwei Wochen zuvor, auf dem Sommerfestival in Walheim am Stadtrand von Aachen, ist von Jazz keine Spur. An diesem Samstagabend soll die kölsche Band Räuber im Rahmen ihrer »Dreimolelf«-Tour als Hauptact den rund 800 Zuschauern so richtig einheizen. Die fünf Musiker gehören seit 33 Jahren zur »Top-Liga der kölschen Bands«. ­Lieder wie »Eigelstein«, »Denn wenn et Trömmelche jeht« oder »He am Rhing« kennen wohl nicht nur eingefleischte Fans der Kölner Schunkel­fraktion. Bei ­einem bekannten Musik-Streamingdienst kommen sie auf mitunter mehr als neun Millionen Klicks. Und mit den Singles »Wigga ­Digga« und auch »Oben Unten« haben sie erst vor kurzem ­wieder einmal bewiesen: Die vier Jungs um Sänger Sven West verstehen es auch nach so langer Zeit noch immer, sich musikalisch zu transformieren, sich »neu zu erfinden«, gemäß ihrem Motto ­»Räuber 3.0«.

Aber genug der beschwingenden und kommer­ziellen Termini! Die letzten Zeilen sind über weite Strecken direkt oder indirekt zitiert; man könnte auch sagen, sie sind geklaut. Und die Band, die Anfang der 1990er-Jahre unter anderem von Keyboarder Kurt Feller (Captain Kurt!) mitbegründet wurde, liest sie mehrmals im Monat in irgendeiner Zeitung. Wahrscheinlich. Unklar ist, ob sie aus der Feder von ­Michael Brand stammen, dem Manager der Räuber. Aber sein Job wäre es, eben diese und ihre Musik im bestmöglichen Licht darzustellen. Das Bühnenlicht an diesem 13. Juli zumindest scheint kraftvoll über den Kopf des Schlagzeugers Thommy Pieper hinweg und hinein in den Wald, der das Festivalgelände umschließt.

Apropos Festivalgelände: Die Szenerie an ­einem solch dunklen Ort ist nicht unbedingt etwas für schwache Nerven. Schafft man es irgendwie über abgelegene Pfade zur großen Lichtung des Spektakels, wird man von dumpfen Bässen und Sounds à la »Schöckelpääd« (ein Song von Miljö) herzlich begrüßt: »Ich wääd zum Aap un flippe us / Hey, hey, yippie, yippie yeah, yeah.« Geil. Also für die oder den, die oder der sowas mag. Mit »sowas« ist auch der deutsche Partyschlagersänger und Allein­unterhalter Peter Wackel gemeint, der mit seinen Songs — »Erika (komm mit mir nach Amerika)«, »Scheiß drauf! Mallorca ist nur einmal im Jahr«, »Schwarze Natascha« oder »Bier her« — seit 1999 regelmäßig in den nationalen Charts vertreten ist. Der habe schon am Abend zuvor hier gespielt und die Messlatte für den heutigen Abend ziemlich hoch gelegt, erzählt mir der Mann am Ticket­häuschen.

Von weitem erkennt man schon die beiden Sprinter-Tourbusse der Band. »Räuber« steht auf ihnen in weißem Schriftzug auf schwarzem Hintergrund und dem für die Band typischen roten Kreuz . Früher hinterließen ­Räuber bei ihren Raub­zügen oft ein Zeichen, um ihr Gebiet zu markieren und Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten. Peter Wackel habe hier gestern schon seinen Stempel hinterlassen, sage ich zu ­Michael Brand. »Wird das heute daher nicht eine Monster­aufgabe für euch?« Michael ist ein lockerer Typ. Und weil das so ist, grinst er nur verlegen in sich hinein. »Meistens haben es die Räuber bisher verstanden, das Publikum zu begeistern«, entgegnet er. Und fügt noch hinzu: »Das wird auch heute so sein.«

Selbstbewusst ist das. Oder einfach nur so ein Gefühl. Wer weiß das schon? Wobei, das mit dem Gefühl kann schon stimmen. Begleitet er die »Für die Iwigkeit«-Truppe doch auch schon eine halbe Ewigkeit. Da erlebe man so einiges, erzählt Michael, der so ein bisschen wie ein Kölscher George Michael aussieht. Und mit jedem seiner Räuber würde er doch glatt in den Urlaub fahren, sprudelt es noch aus ihm heraus. Das ist mal ein Statement. Dazu gibt’s ein frisch gezapftes Kölsch und eine Currywurst im Backstage-Zirkuszelt, das ausschließlich den VIP-Gästen des Festivals vorenthalten ist. ­Unter ihnen tummeln sich auch Anhänger von ­Detlef I., dem Stolberger Karnevalsprinzen der kommenden Session 2025, der mit bürgerlichem Namen Detlev Bey heißt und in Stolberg eine kölsche Kneipe, das »Kölsche Eck«, führt. »Los os fiere« lautet sein Motto und das seines Hofstaates. Nicht originell? Vielleicht. Aber passend. Denn: Ehe man sich versieht, stehen die Räuber auch schon auf den Brettern, die in der Provinz das Köln bedeuten. Und dort werden sie von ­Doris, Silvia und ihren restlichen Fans, die nun schon zum Teil mehrere Stunden bei nicht allzu sommerlichen Temperaturen samt einigen Regen­schauern im matschigen Gras vor der Bühne ausgeharrt haben, frenetisch umjubelt. Erstaunlich, wie textsicher die gesamte Waldlichtung »Ming janzes Levve lang«, »He am Dom« oder »Die Vögelein vom Titicacasee« mitzusingen imstande ist: »Ach Mägdelein, ach Mägdelein, wenn ich Dich vor mir seh / wär ich so gern ein Vögelein vom Titicacasee.«

Doris und Silvia sind zwei Mittsechzigerinnen. Sie sind heute Abend nur angereist, um die Räuber zu unterstützen, sagen sie. Schon von Beginn an seien sie Fans der kölschen Kultband gewesen. Während sie das erzählen, leuchten ihre Augen. Zu einem längeren Gespräch kommt es so kurz vor Showtime — natürlich — nicht. Als Andreas Dorn ­alias Schrader (Gitarre) die ersten Akkorde von »Alle für Kölle« und Sven West (Gesang) zusammen mit dem Rest der Band »Einer für Alle, fest vereint / Keiner bliev allein!« anstimmt, sieht man Doris und Silvia in ihren Räuber-Shirts nur noch von hinten. Ein gutes Stichwort. Auch ich beobachte das Geschehen mit etwas Abstand von weiter hinten.

Überhaupt ist Abstand stets ein guter Ratgeber, auch und vor allem in dieser tollhaus-artigen kölschen Nacht auf dem Freizeitgelände Walheim irgendwo zwischen der Inde und dem Pannekogweg. Wird doch viel herumgegrölt links und rechts des Konzerts, besonders laut und befremdlich wird das männliche Gehabe bei der Art Liedgut, bei dem Frauen zum Objekt stilisiert und überhöhter Alkolkonsum ausschließlich als Kavaliersdelikt verstanden wird. Antiquiert, fernab jeglicher Debatten wirkt das Ganze. Junge Kellnerinnen im Zirkuszelt gehen bei Räuber-Versen wie »Über 7 Liter musst du geh’n, dann wird deine Frau auch wieder schön« oder »Am Eigelstein es Musik, am Eigelstein es Danz / Jo do pack dat decke Rita däm Fridolin am Trallalalalala« noch ein bisschen unbehaglicher durch die Reihen, als sie es sowieso schon tun.

Das alles ist nicht unbedingt typisch für »die Provinz«. Das alles ist nur ein Stückchen weiter weg von allem und jedem. Später, auf dem schmalen Waldweg Richtung Auto höre ich noch Peter Wackels Stimme aus den Festival-Boxen dröhnen, weil die Räuber eine Pause einlegen: »Ja, wenn die Burschen singen und die Klampfen klingen / Und die Mädels fall’n drauf rein, Diese dummen Dinger / Was kann das Leben Schöneres geben?« Ich wüsste da ­einiges.


Erschienen in der Stadtrevue

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