Kölner Urknall mit Travis Scott
Köln (kle) Um es direkt zu sagen: Einige Aspekte des Konzerts, das der amerikanische Rapper, Sänger und Musikproduzent Travis Scott gestern Abend im ausverkauften Kölner Rheinenergie-Stadion vor rund 40.000 Zuschauern im Rahmen seiner „Circus Maximus“-World Tour spielte, sind zu hinterfragen. Und das nicht alleine deswegen, weil der im Vorfeld der Show von den Fans hinterlassene Müll auf den Stadionwiesen bergeweise schnellstmöglich mit Schubkarren wegtransportiert werden muss. Die Aussage eines Vertreters des Veranstalters - „Das sind eben junge Fans“ - wirkt in diesem Kontext völlig am Kern des Problems vorbei. Nachhaltigkeit, morgen gerne wieder, nur heute bitte nicht?
Es ist schwül. Ein paar wenige Blitze zucken im Westen Kölns auf, zu all dem Grillenzirpen aus den Lautsprechern. Keine Musik. Die scottsche Tropennacht in Köln-Müngersdorf ist angerichtet, die Fans des gebürtigen 33-jährigen Texaners, der im letzten Sommer sein viertes Album „Utopia“ veröffentlichte und vor drei Jahren in die Schlagzeilen geriet, weil auf einem seiner Konzerte durch eine Massenpanik zehn junge Menschen ums Leben kamen, sind spürbar aufgeregt. „Oh mein Gott, ich glaube, er kommt gleich da herausgesprungen!“, schreit ein Kumpel seinem Freund nervös ins Ohr. Mit „da“ meint eben der den langen steinartigen Bühnensteg, der sich mit eingebauten Stufen und kleinen Tunnelanlagen bis weit in die Mitte des inneren Zuschauerraums schlängelt und an eine „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“- Kulisse erinnert. Neben einer klassischen Hauptleinwand in XXL-Format zieren vier hohe Leinwandtürme – einer in jeder Ecke der Szenerie – das Bühnengesamtbild. Wenn schon Maxi, dann auch richtig. Toll daran: Scott steht so während des gesamten Auftritts inmitten seiner Fans.
Und die fackeln nicht lange, als „Greetings From Utopia“ vom Band abgespielt wird und der Star des Abends in schusssicherer Weste, dunkelgrauer Camouflage-Hose, mit Sonnenbrille und rotem Stirnband regelrecht aus dem Steg herausgespuckt wird. Denn: Ungezügelt und entfesselt schmeißen sich die Abertausenden zu den dröhnenden Beats sodann in riesige Moshpits. Alleine der Anblick schmerzt. Gefährlich sieht das aus. Und endet die eine Nummer, geht es auch schon sofort mit der nächsten weiter. Scott peitscht die Menge vor ihm wie ein Dompteur in der Manege an, gönnt sich und ihr keine Atempause. Bässe und in sich zurücknehmende Drums von den Turntables knallen einem zusammen mit den blendenden Laserstrahlen ums Ohr und Auge. Die Energie eines Wurmlochs wirkt gegen den Beginn des Konzerts fast wie eine lächerliche Randnotiz. Travis Scott schafft es mithilfe kleinster Sprünge und Armbewegungen, eine Art Singularität des Massenwahns bei seiner Anhängerschaft zu entfachen: Willkommen beim scottschen Urknall.
Ein bisschen später dann wählt er drei seiner Fans aus, die mit ihm zusammen dort oben auf dem kleinen Bühnen-Vulkan den Song „Sdp Interlude“ tanzen und singen dürfen. Die sind vollkommen aus dem Häuschen, versteht sich und lassen sich bejubeln. Der Rest, schaut man in die Gesichter, ist wie hypnotisiert. Das Mitrappen der 40.000 wird von Nummer zu Nummer intensiver und ist an Textsicherheit und ausufernden sowie an teils aggressiven Körperschwenkungen hie und da nicht zu überbieten. Für nicht Szene-Eingeweihte könnte das gesamte Show- Geschehen unter Umständen mit einer religiösen Kult- oder gar Huldigungshandlung verwechselt werden. Dem Hauptprotagonisten wird sein starker Einfluss auf dessen Fans bewusst sein; nicht ohne Grund wiederholt er den Refrain von „Fe!n“ mit seinen halluzinatorischen Beats ein ums andere Mal. Das Stadion schüttelt sich in Trance. „Fein', fein', fein', fein'-fein' (yeah)“. Nach 80 Minuten wacht es auf. Ganz plötzlich. Denn Scott verschwindet. Zugabe: Fehlanzeige.