Wanda - „Im Prinzip hören meine Texte anderen Menschen viel lieber zu, als dass sie ihnen etwas erzählen wollen“

Köln (kle)

Die Band Wanda gehört schon seit einigen Jahren zum Aushängeschild moderner Popmusik aus Wien. Ihr subversiver Sound ist das eine, ihre Texte, mit denen man locker einen dicken Gedichtband füllen könnte, das andere. Das lyrische Ich, das in Wandas Liedern durch Sänger Marco Fitzthum immer wieder aufs Neue zum Leben erweckt wird, erzählt - mal distanzierter, mal hautnah dran - vom puren Menschsein. Und weil es pur ist, ist es oft wunderschön. Und oft brutal. Wunderschön brutal. Ich hatte die Gelegenheit, mit Marco zu sprechen.

Hallo, lieber Marco. Wie geht es dir?

Danke, gut geht es mir. Sonnig ist es hier in Wien.

Das freut mich zu hören. Hier in Köln ist es zurzeit bewölkt und es nieselt.

Wir werden am 20.03. die Wiener Sonne mit nach Köln bringen.

Stimmt. Dann spielt ihr im Palladium.

Genau. Im Palladium zu spielen ist immer einmalig. Es gibt nichts Geileres, als im Palladium aufzutreten.

Warum gibt es nichts Geileres?

Es ist jedes Mal ein Abriss. In keiner deutschen Halle waren wir öfter. Angefangen hat unsere Geschichte mit dem Palladium ja schon damals als Support von Kraftklub. Ich finde die Location von ihrer optischen Aufmachung her einfach sensationell. Der Blick von der Bühne ins Publikum ist so besonders, der Blick vom Publikum auf die Bühne aber genauso. Da hat jeder etwas davon.

An das letzte Konzert von Kraftklub im Palladium im Dezember letzten Jahres kann ich mich noch gut erinnern. Da ging es gut ab. Meine Freundin habe ich erst am Ende wieder getroffen.

*Marco lacht innig* Sowas macht doch ein gutes Konzert aus - wenn man Köln auf dem Tour-Zettel liest, geht einem das Herz auf. Für mich persönlich fühlt es sich dann immer an wie nach Hause zu kommen. Ein Teil meiner Familie kommt ja aus Leverkusen.

Aus Leverkusen?

Ja, meine Mutter kommt aus Leverkusen. Sie ist mit 18 nach Wien „geflüchtet“. Deshalb habe ich noch Freunde und Familie dort. Aber es ist eben schon lange her. Meine Großeltern, die ich als kleiner Junge oft besucht habe, liegen mittlerweile unter der Erde. Aber Leverkusen und Köln sind ein großes Stück Kindheit für mich.

Dann bist du zum Teil auch Rheinländer?

Genau. Ich bin eben nicht ausschließlich Pessimist und unfreundlich, nur weil ich in Wien groß geworden bin und dort lebe. *Marco lacht innig – mal wieder*

Pessimistisch und unfreundlich vielleicht nicht. Aber dafür wenig politisch?

Du möchtest wahrscheinlich darauf hinaus, dass wir als Band nicht in einen politischen Diskurs einsteigen wollen. Eine politische Sprache darf in der Welt der Popmusik schon eine Rolle spielen. Nur habe ich für mich ausgeschlossen, meine Lyrik mit politischen Diskursen zu vermengen.

Warum?

Ich möchte einfach nicht, dass alles politisierbar ist. Ich finde, das hat in den letzten Jahren für Bands eine entsetzliche Druck- und Sogkraft angenommen. Warum politische Diskurse notgedrungen in die Musik überschwappen müssen, das begreife ich nicht. Wo liegt da der Mehrwert? Die Diskurs-Möglichkeit ist doch im Rahmen eines Songs sowieso verknappt. Und zu einer politischen Reflexion gehören doch immer auch ganz viele verschiedene Menschen und Meinungen, und nicht nur ein Texter, der den Leuten predigt, wie etwas zu sein hat oder wie man etwas zu betrachten hat. Diese Macht möchte ich persönlich als Künstler nicht haben. Das fühlt sich für mich falsch an. Ich möchte etwas über das Menschsein erzählen, weil ich das für wesentlich wichtiger halte.

Was genau meinst du mit Sogkraft?

Allein die Frage nach meiner Einstellung zu politischen Texten ist ja schon ein Versuch, aus mir etwas Politisches herauszukitzeln. *Marco lacht* Ich tu mich einfach schwer damit. Ich finde, die politische Realität in Europa im 21. Jahrhundert ist wahnsinnig komplex, da möchte ich mir nichts anmaßen. Zumindest nicht in unseren Songs. Wie gesagt, ich möchte eher das Menschsein ins Zentrum stellen und die Menschen daran erinnern, dass sie trotz ihrer unterschiedlichen Gesinnungen in erster Linie Mensch sind. Sie leiden ja unter ganz anderen Dingen, als unter der Politik. Sie leiden unter Angststörungen, unter Trennungsschmerz, sie leiden unter der Tatsache, dass sie sterblich sind. Genau da möchte ich ihnen mit meinen Texten eine Stütze sein und eine Projektionsfläche schaffen, mithilfe der sie etwas über sich selbst erkennen können. Das alles halte ich für wesentlich relevanter, als in irgendeinen politischen Diskurs einzusteigen.

Das Leitmotiv Menschsein beherbergt ja viele Aspekte.

Ja, heutzutage wird so wenig für Menschen gemacht. Auf der einen Seite möchte man sie ständig verführen, etwas zu hassen. Sie sollen sich am besten in der einen Hälfte des Tages über irgendwen oder irgendwas aufregen und in der anderen Hälfte des Tages irgendwas konsumieren. Und dann müssen sie eigentlich den ganzen Tag auch noch arbeiten. Ich frage mich dann immer: Was will man von Menschen denn noch so alles verlangen? Das ist schon heavy.

Apropos Arbeit: Fühlst du dich durch deinen Beruf privilegiert?

Rausnehmen kann auch ich mich als Musiker nicht aus diesem von mir oben beschriebenen „Hamsterrad der Anforderungen“. Gerade in meinem Beruf und generell in dieser Branche ist der Leistungsdruck enorm hoch. Dieses Hamsterrad kenne ich daher nur zu gut, und man soll nicht meinen, diesem entkommen zu können, nur weil man ein bisschen Musik tüdelt. So einfach ist das nicht. *Marco lacht* Zumindest aber kann ich behaupten, dass mein Privileg darin besteht, das tun zu können, was ich liebe. Das ist sehr viel wert. Ich bin sozusagen freiwillig in so einem Hamsterrad. Und: Ich liebe es. Das ist mein Privileg.

Aber nicht alle Menschen sind glücklich mit ihrem Beruf oder lieben ihn gar.

Das ist ein großes Problem für unsere Generation und auch für die nächste. Die Frage ist und wird künftig noch stärker sein: Realisiere ich mein Leben überhaupt noch in einem Beruf? Ist das das Leben? Der Kapitalismus jedenfalls verspricht das: Du kannst alles erreichen. Du findest deinen Traumberuf. Aber ich glaube mittlerweile, dass viele Menschen erkennen, dass das gar nicht immer möglich ist. Und dann muss man etwas anderes finden, sich woanders realisieren. Das ist aber echt schwer in dieser Welt.

Doch eher Pessimist als Frohnatur? Das ist irgendwie sehr traurig. Gilt eine gewisse Traurigkeit als gesetzt in deinen Texten?

Ja, auf jeden Fall. Ein guter Text zweifelt immer an der Welt, aber er darf nicht an ihr ver-zweifeln. Ein guter Text versucht sich immer auch ein bisschen zu erheben. Damit meine ich aber nicht, dass ein guter Text eine Lösung in petto hätte, denn es gibt keine Lösung. Jedenfalls keine Lösungs-Schablone.

Wieso denn nicht? Sind wir zu blöd, um die Welt in ihrer Komplexität zu verstehen?

Naja, behaupten möchte ich das nicht. Aber die Art „Lösung“ meiner Texte bezieht sich eher auf das Zwischenmenschliche. Eben das ist unsere eigentliche Realität, meine ich. Meinen wir als Band. Und dazu gehört natürlich auch die zwischenmenschliche Beziehung zu sich selbst. Auch zu sich selbst braucht man eine relevante Beziehung.

Verstehe. So ist also der ständige Perspektiv-Wechsel vom personalen Erzähler hin zum Ich oder Wir in deinen Texten zu erklären?

Genau. Im Alltag schwenkt man ja auch im Minutentakt hin und her in der Kommunikation zwischen seinen Mitmenschen und sich selbst. Und dadurch entstehen ja exakt diese Projektionsflächen, von denen ich schon erzählt habe.

Ein Vers im Song „Eine ganz normale Nacht in Wien“ lautet: „Es gibt genug Wahrheit in jeder Straßenbahn“. Was genau ist diese Wahrheit?

Darum geht’s. Solche Verse sollen eben als Projektionsfläche herhalten. Ich freue mich sehr und habe das Gefühl, dann alles richtig gemacht zu haben, wenn sich jemand fragt, was die Wahrheit in dieser Straßenbahn ist. Der Vers ist sozusagen der Anstoß, sich das vorzustellen. Und dann wird es interaktiv. Der Zuhörer setzt sich mit dem Text auseinander, er macht ihn sich zu eigen. Was ich dann als Wahrheit betrachte, tritt so am Ende vollkommen in den Hintergrund. Es ist wesentlich wichtiger, was das Gegenüber dabei empfindet. Im Prinzip wollen meine Texte anderen Menschen viel lieber zuhören, als dass sie ihnen etwas erzählen. So ist jeder Vers und jeder Moment in einem Song im besten Falle immer ein Angebot. Man gibt jemandem etwas in die Hand, und wenn er nicht damit spielen will, kann er es auch wegschmeißen. Und wenn er etwas für sich findet, ist es gut. Mehr nicht. Das ist für mich die Idee eines humanistischen Songtextes. Und die Straßenbahn ist natürlich eine perfekte Projektionsfläche für diese konstruktivistische Wahrheit. Der eine sieht Menschen, die achtlos aneinander vorbeigehen. Der andere nimmt zwei sich Küssende wahr. Oder einer sticht den anderen ab.

Hoffen wir das mal nicht. Beschäftigst du dich denn gerne mit Lyrik?

Das ist schon etwas länger her, dass ich mich eingehend mit Lyrik auseinandergesetzt habe. Irgendwann betrachtete ich das Fundament meiner literarischen Bildung als abgeschlossen. Aber Lyriker, sogenannte Flaneure, die durch Spaziergänge die Welt beobachteten, haben mich schon immer sehr beeindruckt. Der soziale Aspekt ihrer Beobachtungen zog mich immens in den Bann. Und als Beobachter der Welt nehme ich mich schon stark wahr. Nicht mehr, nicht weniger.

In dem Song „Wir sind verloren“ lautet eine deiner Beobachtungen „Wir sind verlor’n, herrlich verlor’n“. Wie kann man denn herrlich verloren sein?

*Marco lacht* Naja, wenn man es für sich selbst anerkennt, dann kann es sehr befreiend sein. Aber das ist wieder mal kaleidoskopisch zu deuten. Man kann sich zum Beispiel auch herrlich in einem Menschen verlieren.

Oder sich selbst verlieren?

Definitiv. Krisen hatte ich zu genüge. Aber ich glaube, der Selbsterhaltungs-Trieb des Menschen ist enorm ausgeprägt. Das Leben ist das Tun. Und wenn man nichts mehr tun will, dann macht es auch wenig Sinn, noch zu leben. Natürlich darf es auch mal Phasen des Nichts-Tun geben. Aber die dürfen keine Überhand nehmen. Das Leben ist eine einmalige Sache. Und aufzuhören, etwas von diesem Leben zu wollen, das war für mich nie eine Option. Das Leben kann an sich schon schnell genug vorbei sein. Ich muss mein Lebensende daher nicht selbst herbeiführen. Ich kann nur sagen, dass man mit eiserner Entschlossenheit daran glauben darf, dass eine Krise irgendwann auch vorübergehen wird. Aber natürlich braucht es in einer tatsächlichen Depression mehr als solch subjektive Glaubens-Sätze. Viel mehr.

Liebe?

Das Verhältnis zur Liebe hat sich in meinem Leben immer wieder verändert. Aber mittlerweile kann ich zumindest von mir behaupten, dass ich von niemandem mehr verlange, mich zu lieben. Das kann ich einfach nicht erwarten.

Hast du es denn eine Zeit lang mal erwartet?

Ja, schon. Ich glaube, ich wollte sehr sehr lange in meinem Leben geliebt werden.

Wirst du denn jetzt nicht zu genüge geliebt? Du stehst schließlich fast jeden Abend auf der Bühne im Rampenlicht.

Davon versuche ich mich fernzuhalten. Denn wenn man in meinem Geschäft Anerkennung, Liebe oder Zuneigung sucht, dann wacht man in der Hölle auf. Die Menschen feiern das, was ich mache, aber nicht, was ich bin. Das ist ein großer Unterschied. Die ganze Euphorie, die einem entgegenschlägt, ist in erster Linie auf das Happening der Show zurückzuführen. Und die Fans feiern sich und ihr Leben. Wenn man das alles auf sich selbst beziehen würde, wäre man nach einer Show ganz schön einsam. Ich jedenfalls möchte nicht leer sein, wenn der Applaus irgendwann aufhört.

Vielen Dank für das Gespräch, lieber Marco.


Zurück
Zurück

Donots - schicksalshafte Vorabi-Party

Weiter
Weiter

AnnenMayKantereit - „Wir drei waren ab einem gewissen Zeitpunkt furchtbar konsequent“