Donots - Eike Herwig spricht über den Zufall, vom Leben hart am Abgrund und von der Nähe zu seinen Fans
Köln (kle)
Der kleine Eike und sein erstes Schlagzeug in einem Dorf bei Ibbenbüren: Warst du dort damit eine kuriose Erscheinung?
Tatsächlich war ich der Einzige, der im Dorf Schlagzeug spielte. Viele andere waren dort eher Mitglied im Karnevalsverein. Die spielten dann während den Umzügen auch Snaredrum für diese Art von Marschmusik, die man vom Karneval kennt. Aber so ein richtiges Drumset hatte im Dorf niemand. Um allerdings musikalischen Anschluss finden zu können, musste ich raus aus meinem Dorf und rein ins Jugendzentrum „Scheune“ in Ibbenbüren. Da konnte man dann auch andere Musiker treffen und eine Band gründen.
Und von der Schule konntest du dann direkt in die Scheune „reinhüpfen“?
Genau so war das. Man konnte auf direktem Wege von der Schule hinüber in die Nachmittagsgestaltung der Scheune wechseln oder in seinen Freistunden da einfach ein bisschen abhängen. Da gab es ein nettes Café für Jugendliche, und unten im Keller konnte man in Proberäumen Musik machen. Rückblickend muss ich sagen: Das war alles ganz schön perfekt. Ab einem gewissen Alter haben wir die meiste Zeit über in der Scheune verbracht und uns da unseren ersten kulturellen Schliff geholt.
Hast du in der Scheune denn auch das erste Mal die Knollmann-Brüder getroffen?
In der Scheune nicht, nein. Guido habe ich das erste Mal 1995 auf einer der zahlreichen Vorabi-Partys, die es damals gab, getroffen. Auf denen wurde ganz schön viel getrunken, und zu späterer Stunde saß ich irgendwo in den Vorräumen der Toiletten. Irgendwann rüttelte Guido an mir und fragte mich, ob ich nicht Bock hätte, für seine Band, die Donots, Schlagzeug zu spielen. Die Donots kannte ich damals schon. Die waren eine ziemliche Nummer in Ibbenbüren. Und im Suff habe ich dann natürlich direkt zugesagt. Ein paar Wochen später haben wir uns dann zum ersten Mal zur Probe getroffen.
Kannst du dich denn noch an die erste Probe erinnern?
Das Merkwürdige war, dass ich damals mit der Musikrichtung Punkrock nicht wirklich viel anfangen konnte. Ich selbst habe davor nur in klassischen Rock- oder Alternative-Bands gespielt. Und die waren um Einiges langsamer als der California-Punk der Donots mit durchschnittlich 200 Bpm *lautes Gelächter*. Da musste ich erstmal schlucken. Aber irgendwie habe ich das hinbekommen. Und gut verstanden haben wir uns auf Anhieb. Das war und ist nach wie vor fundamental wichtig für uns.
Hattet ihr denn damals schon viele Fans in der Schule bzw. in Ibbenbüren?
Die Band hatte damals in und um Ibbenbüren herum erstaunlicherweise schon recht viele Fans. Gespielt haben wir in den ersten Jahren aber ausschließlich in der Scheune. Diese Konzerte allerdings waren legendär: Man wusste, dass auf denen die Luzie abgehen würde und dass sie sehr energiereich sein würden. Das war schon ziemlich speziell, wenn man im Ort den Namen Donots erwähnte. Viele Fans in Ibbenbüren konnten es gar nicht abwarten, das nächste Scheunen-Konzert zu erleben.
Ab wann wurde dir klar: Das Projekt Donots wird nicht ewig in der Scheune verweilen, sondern daraus könnte wohl etwas Größeres entstehen?
1998 hat uns der Zufall zum damaligen Kölner Bizarre-Festival gebracht. Das fand früher immer auf dem ehemaligen Flughafengelände des Butzweiler Hofs statt. Und da haben wir auf der Newcomer-Bühne der Musikzeitschrift Visions gespielt. Zufall war das, weil wir eigentlich nur aufgrund einer ausgefallenen Band in das Lineup des Festivals reingerutscht sind. Zufällig haben wir diesen Newcomer-Preis dann an dem Wochenende auch noch gewonnen. Ich glaube aber, den Preis haben wir bis heute nicht bekommen *Eike lacht herzlich*. Aber egal. Viel wichtiger war, dass ab da an Gun-Records mit uns zusammenarbeiten wollten. Und schließlich haben wir bei denen unseren ersten Plattenvertrag unterschrieben. Das war definitiv ein Richtungs-Wechsel für uns, ohne, dass dabei wirklich viel Geld für uns herumkam. Im Gegenteil: Unser erstes Album „Better Days Not Included“ floppte total. Erst mit „Pocketrock“ kamen wir so langsam in die Spur. Ab da an entschieden wir uns, es hauptberuflich mit der Band zu versuchen.
Und was hätte der Eike alternativ gemacht, wäre er nicht Rockstar geworden?
Kurz zuvor habe ich meine Ausbildung zum Ergotherapeuten abgeschlossen. Das ist einfach ein toller Beruf, und mit Menschen habe ich schon immer gerne gearbeitet. Gerade die Arbeit zusammen mit Kindern hat mir stets viel Spaß gemacht. Oder Menschen mit Behinderung zu unterstützen, das war mein Ding. Während des Studiums habe ich auch ein Praktikum in der Psychiatrie absolviert. Das war eine krasse Erfahrung für mich, aber gleichzeitig auch total erfüllend. Zu sehen, wie Menschen sich entwickeln können, hat mich interessiert, seit ich denken kann.
Machst du denn nebenberuflich in dieser Richtung etwas?
Ich versuche mich ehrenamtlich dort einzubringen, wo es mir sinnvoll erscheint. Zum Beispiel habe ich mich immer gerne im Kindergarten meiner Kinder engagiert, wenn das irgendwie möglich war. Das selbe mache ich jetzt auch in der Schule meiner Kinder. Es ist mir einfach eine Herzensangelegenheit, mich im sozialen Bereich zu betätigen. Vor allem in der Coronazeit, als es mit der Band weniger gut lief, haben mich solche sozialen Tätigkeiten sehr ausgefüllt.
In der Coronazeit hast du dich also etwas intensiver anderen Tätigkeitsfeldern zuwenden können?
Tatsächlich war das so. In dieser Zeit habe ich mich noch einmal viel extremer mit der Frage, was ich eigentlich noch so in meinem Leben machen möchte, auseinandergesetzt. Mit der Band lief ja nicht viel zu dieser Zeit. Ich habe mich zum Beispiel damals auch bei einem Fahrrad-Hersteller beworben, um bei ihm im Vertrieb zu arbeiten. Am Ende ist daraus nichts geworden, aber vorstellen konnte ich mir das gut, nebenberuflich einfach mal etwas anderes auszuprobieren und sich dadurch nochmal selbst neu kennenzulernen. Nichts desto trotz: In der Homeschooling-Phase hatte ich persönlich meinen absoluten Tiefpunkt. Das war eine harte und anstrengende Zeit für mich und für alle in der Band, weil es so wenig Perspektiven gab. Erst im Sommer 2021 ging es dann wieder bergauf bei uns.
Und dann wart ihr auch wieder öfter zusammen im Proberaum. Wie kann man sich denn eine Probe bei euch genau vorstellen?
Guido zum Beispiel kommt mit seinen Riff-Ideen in den Raum, die hören wir uns in Ruhe an und meistens finden wir dann auch etwas neues Geiles. Ich selbst liefere am Anfang einer Probe null Ideen ab. Von mir kommt da zunächst rein gar nichts. Guidos Vorschläge lasse ich erst einmal nur auf mich wirken. Irgendwann beginne ich mich dann in die Idee einzugrooven. Wenn das dann passt, arbeiten wir weiter an der Nummer. Wenn es nicht passt, kann es passieren, dass der neue Ansatz direkt wieder in den Mülleimer wandert. Der große Vorteil nach so vielen Jahren ist es, dass wir genau wissen, wie die anderen so ticken, was sie möchten und welche neuen Ziele sie mit der Band verfolgen. Die Umstellung von englischen zu deutschen Texten beispielsweise hat uns die Gelegenheit gegeben, uns selbst noch einmal neu zu entdecken. Seit dieser Entscheidung fühlt sich die Band wie neu geboren an.
Hat euch diese Umstellung als Band auf eine neue Ebene gehievt?
Auf jeden Fall. Die ersten Konzerte, die dann mit dem ersten deutschsprachigen Album „Karacho“ stattfanden, waren so anders intensiv, dass wir es erst gar nicht glauben konnten, wie sehr wir uns mit der Entscheidung verändert haben. Das gab uns als Band von 2015 bis heute einen erneuten enormen Schub.
Okay. Das hört sich alles sehr positiv an. Aber gab es für dich auch mal einen Zeitpunkt, an dem du beinahe die Flinte ins Korn geworfen hättest?
Den einen Zeitpunkt gab es nicht, jedoch die eine Phase. Und die gab es definitiv zwischen 2004 und 2007. Irgendwie fehlte uns nach der Vertragsauflösung mit der Plattenfirma der nötige Schwung. So richtig Geld mit der Musik haben wir damals auch nicht verdient. Zusätzlich bin ich 2007 das erste Mal Vater geworden. Da überlegst du dir ernsthaft, wie es denn mit der Band weitergehen soll. Ein bisschen hing die Band da in der Schwebe. Aber dann kamen wir - wieder durch Zufall - mit dem Produzenten Kurt Ebelhäuser zusammen und nahmen in dessen Studio irgendwo in einem kleinen Dorf bei Koblenz unser Album „Coma Chameleon“ auf.
Krasse Zeit?
Aber Hallo. Die Aufnahmen für „Coma Chameleon“, die waren schon echt verdammt intensiv. Da musste einfach alles gut werden. Ebelhäuser packte uns so richtig am Kragen. Der presste das zu der Zeit Bestmögliche aus uns heraus, sodass wir über uns hinauswachsen konnten. Trotzdem fühlte es sich an wie an einem steilen Abgrund zu stehen. Zu all dem kam noch hinzu, dass die Plattenfirmen überhaupt keine Lust auf dieses Album hatten. Also veröffentlichten wir es selbst. Schließlich wurde alles gut, trotzdem: Rückblickend war das die emotionalste Zeit für mich als Schlagzeuger bei den Donots. Und wenn ich die Songs dieses Albums heute höre oder spiele, spüre ich durch sie hindurch ihren unbedingten existenziellen Charakter. Das war definitiv eine krasse Zeit mit allen denkbaren Höhen und Tiefen. Dennoch konnten nur dadurch so unterschiedliche Songs entstehen.
Wenn du das so erzählst, sträuben sich einem die Nackenhaare. Was für eine intensive Zeit.
Total. Aber so sehr mich das an die eigenen Grenzen brachte, so sehr liebe ich auch diese Intensität. Das sieht man ja nicht zuletzt auch an der Art, wie ich Schlagzeug spiele. Ich sitze ja nicht einfach nur so da und mache „Bum-Tschak-Bum-Tschak“, sondern ich möchte das Konzert fühlen. Ob das nun technisch einwandfrei von mir gespielt ist: sei’s drum. Eigentlich bin ich technisch die totale Niete.
Das sagst du über dich selbst?
Ja, schon. Im klassischen Sinne habe ich echt wenig Schlagzeug spielen gelernt. Hätte ich Schüler, ich wüsste gar nicht, was ich ihnen beibringen könnte. Da bin ich eher der affektive Typ. Ich tauche in die Songs, in das Konzert ein, lasse mich dann einfach treiben und laufe im Idealfall zur Höchstleistung auf. Wenn das funktioniert, ist das Gefühl vor allem nach dem Gig unbeschreiblich. Nach zwei Stunden spielen am Limit bist du natürlich auch körperlich völlig fertig. Aber genau diesen Kick mag ich.
Na, wenn das mal nicht nach einem Schlagzeug-Workshop mit Eike abseits jedweder technischer Spielkunst schreit.
*Eike lacht* Ich habe schon ein paar Workshops gehalten. So ist es ja nicht. Auf denen erzähle ich natürlich von meiner Leidenschaft für Musik. Und das wirkt auf viele sehr motivational. Das Wichtigste in diesem Kontext für mich ist, dass sich die Nachwuchs-Drummer nicht überschätzen, sondern lernen, sich selbst ehrlich einzuschätzen. Denn nicht alle wissen, was sie können und was noch nicht. Dementsprechend kann man dann an möglichen „Baustellen“ arbeiten. Das mache ich ja selbst genauso. Die Freude am Spiel allerdings, die darf nicht Platz für einen falschen Ehrgeiz machen. Das wäre völlig kontraproduktiv. Vor allem wäre man so viel anfälliger für Enttäuschungen. Und die kommen. Früher oder später. Generell ist es ratsam dankbar zu sein für das, was schon klappt.
Du meinst, so ähnlich wie die Kernaussage eures neuen Albums „Heut ist ein guter Tag“?
Gute Überleitung *Eike lacht*. Aber ja, die Aussage, sich über alles das freuen zu können, was schon klappt, kann man natürlich auch auf den Alltag anwenden. Die Figur des Ralph aus dem gleichnamigen Song unseres aktuellen Albums steht sinnbildlich für diese Art von Optimismus. Der Typ hat doch eigentlich mit seiner Bruchlandung auf der Erde die Arschkarte gezogen, aber am Ende steht er inmitten eines Maisfelds, drückt mit letzter Kraft einen Blumenstrauß nach oben und hält dadurch jedem einzelnen von uns den Spiegel vor: Lass dich nicht vom Pessimismus runterziehen. Versuche den Karren selbst aus dem Dreck zu ziehen. Dann kann es ein guter Tag werden. Das ist unsere Botschaft. Aber das ist sie nur, weil wir diese Momente des Zweifelns und des Verzweifelns innerhalb der Band genau kennen.
Das heißt, die Donots sind nah dran an den Gefühls- und Gemütslagen ihrer Fans?
Na klar doch. Wir betrachten uns als Teil der Gesellschaft und würden uns nie mit erhobenem Zeigefinger über das Publikum stellen. Wir sind uns bewusst, was wir unseren Fans zu verdanken haben. Ob man es allerdings schafft, diese besondere Nähe zum Publikum auf jedem Konzert herzustellen, steht auf einem anderen Papier. Das funktioniert ja nicht immer und hängt von vielen Faktoren ab. Aber: Die vielen Rückmeldungen unserer Fans sind dann am Ende meistens wieder Balsam für unsere Seelen. Und die sind manchmal echt ganz schön emotional.
Eine gesunde Distanz ist da mitunter hilfreich?
Schon, ja. Einen gewissen Abstand zu hoch-emotionalen Nachrichten eigener Fans sollte man schon lernen mit der Zeit herzustellen. Sonst wirst du diesen Job nicht so lange durchhalten. Trotzdem sind wir mittlerweile alt genug, um bestimmte Dinge gut zu verarbeiten und bestimmte Schicksale unserer Fans näher an uns heranlassen zu können. Und natürlich lassen uns bestimmte Geschichten von Fans nicht kalt. Das gibt es viele Stories, die uns richtig unter die Haut gehen.
Eine gesunde Distanz gegenüber zu viel überschwänglicher Fan-Euphorie gepaart mit der Kompetenz eines Erwachsenen, Geschichten der Fans an sich heranlassen zu können. Ist das Geheimnis Eurer Erfolgsgeschichte damit gelüftet?
Authentizität, die mit und an den Fans wachsen kann, ist für mich ganz klar einer der wichtigsten Bausteine für unseren Erfolg. Natürlich kann Ingo nicht ständig auf jeder Show individuell angepasste Ansagen machen, aber er bemüht sich redlich, auf die Stimmung eines jeden Publikums einzugehen. Die Leute merken ganz schnell, ob man sich ihnen zuwendet, oder ob das Konzert eine komplett einstudierte Nummer ist.
Das heißt, sich die Donots am 27.04. im Palladium anzusehen und anzuhören, lohnt sich?
*Eike grinst* Natürlich! Unsere Fans und die, die es vielleicht noch werden oder werden wollen, dürfen sich auf einen spaßigen Abend freuen. Und wir als Band mit dem neuen Album hoffen selbstverständlich, dass uns viele auf unserer Reise begleiten wollen. Das ist einfach ein total wichtiger Moment für uns: Zum ersten Mal spielen wir unsere neuen Nummern live. Und genau in diesen Momenten geschehen wiederum neue Geschichten. Für jeden von uns und für jeden Zuschauer. Das ist das Geile an diesem Beruf.
Letzte Frage: Auf welchen Song freust du dich als Schlagzeuger auf dem Konzert am meisten?
„Auf sie mit Gebrüll“ macht live wahnsinnig viel Spaß. Der Song hat einfach unglaublich viel Energie. Und gerade das liegt mir und meinem Spiel besonders. Allerdings ist „So Long“ live auch immer toll. Die Nummer hat Dynamik, die mich jedes Mal umhaut. Vor „Hey Ralph“ habe ich ehrlich gesagt sogar ein bisschen Schiss, weil er rhythmisch wie ein endloser Loop gespielt wird. Bei dem muss ich echt aufpassen, dass ich nicht zu sehr über das Spielen nachdenke, also keinen Dreher im Kopf bekomme und am Ende womöglich noch verkrampfe.
Hey Eike, ich wünsche dir alles Gute! Vielen Dank für das Gespräch.
Erschienen in der Kölnischen Rundschau